
Während der Schwangerschaft las ich das Wort „Windelfrei“, aber es hätte genau so „Tischbein“ da stehen können, ich nahm es nicht wirklich zur Kenntnis. Dann kam meine Tochter zur Welt und als meine Hebamme zur Nachsorge kam, erzählte ich ihr, dass meine Kleine immer besonders stark weinen würde, wenn sie in der Trage war und ein großes Geschäft erledigen musste. Da sagte sie: „Na, wenn sie es so ankündigt, dann kannst du sie doch abhalten!“ Da fiel der Groschen.
Ich googelte das Thema, bestellte Bücher und schon fingen wir an. Meine Tochter weinte in ihren Lebenswochen sehr viel, was uns als unerfahrene Eltern natürlich sehr verunsicherte und von dem Tag an, an dem wir mit dem Abhalten anfingen, weinte sie sehr viel weniger. Meine Tochter war da 2 Monate alt. Auch wenn ich Bücher gelesen hatte und wusste, dass es funktioniert: meine Tochter hat es uns Tag für Tag bewiesen, dass es möglich war und dass es auch ihr wichtig war.
Ohne dass ich es hätte verbalisieren können, fand ich Wickeln seltsam. Als ob mein Baby inkompetent sei. Ich will nicht sagen, dass Wickeln „böse“ ist, nur mir persönlich schien da etwas nicht ganz richtig. Zu wissen, dass ich auch abhalten kann, war wie ein Befreiungsschlag für mich, endlich fühlte es sich „richtig“ an.
Ich möchte hier die wichtigsten Fragen klären, die immer und immer wieder gefragt werden, nämlich 1. Was macht man unterwegs? 2. Und was macht man nachts? 3. Und wie ist es mit Fremdbetreuung? Kurz vorweg: Das großartige an Windelfrei ist ja, dass es keine Frage von Alles oder Nichts ist! Man muss nicht jedes Pipi auffangen und das Kind darf auch Windeln tragen. Im Deutschen hat sich der Begriff Windelfrei etabliert, im englischsprachigen Raum heißt es Elimination Communication, kurz EC, was nichts darüber aussagt, ob die Kinder Windeln tragen oder nicht. Es bedeutet lediglich, dass Betreuer (Eltern) und Baby über Babys Ausscheidung kommunizieren. Dass sich der Begriff „Ausscheidungskommunikation“ in Deutschland nicht durchgesetzt hat, erklärt sich von selber. Sonst wäre ich ja ein Ausscheidungskommunikations-Coach...herrje!
Was macht man unterwegs?
Unterwegs kann man es verschieden handhaben: man kann dem Kind vor dem Rausgehen eine Windel anziehen und wenn man das Gefühl hat, das Baby muss, sagt man: „Mein Schatz, ich sehe, dass du musst, aber ich kann dich gerade nicht abhalten, bitte mach in die Windel.“ Und dann bei der nächsten Gelegenheit Windel wechseln. Oder man zieht dem Kind praktische und abhaltefreundliche Kleidung an und sucht sich im Fall der Fälle einen Busch, etwas Gras oder eine nahegelegene Toilette. Es gibt auch Mütter, die eine Art kleines Töpfchen (z. B. den zusammenfaltbaren Pop-Up-Campingbecher) immer dabei haben. Babys, die sich darauf verlassen können, abgehalten zu werden, können sehr früh erstaunlich lange warten.
Was macht man nachts?
Schlaf hat Priorität! Wer müde und vor allem übermüdet ist, soll nachts schlafen und nicht abhalten. Wer allerdings nachts abhalten möchte, wird eventuell feststellen, dass es ziemlich einfach ist, weil die meisten Babys nachts einen Rhythmus entwickeln, nach dem man sich richten kann. Also z. B. immer um 24 Uhr und um 5 Uhr oder jedes 2. Mal vor/nach dem Stillen. Babys pinkeln nicht im Tiefschlaf, sondern kommen dafür in eine leichte Schlafphase und fangen oft an sich zu wälzen. Wenn sie sich entleeren können, schlafen sie anschließend meist ruhiger weiter. Allerdings ist es für nächtliches Abhalten unabdingbar, dass das Baby im gleichen Zimmer schläft, wie die Eltern.
Wie ist es mit Fremdbetreuung?
Kinder sind flexibel: Meine Tochter isst bei der Tagesmutter rohe Möhren und Äpfel, bei mir nicht. Die Tagesmutter bietet ihr aber im Winter keine Bananen an, ich schon. Sollte es bei der Fremdbetreuung partout nicht möglich sein, dass das Baby hin und wieder abgehalten wird, können sie während der Betreuungszeit auch einfach gewickelt werden. Die Kinder lernen: Meine Eltern halten mich ab, die Erzieherin nicht. So einfach! Schön ist es natürlich, wenn das Personal entgegenkommend ist und vielleicht wenigstens nach dem Mittagschlaf abhält.
Warum überhaupt Windelfrei?

Wenn wir wissen, dass Kinder auch ihr Ausscheidungsbedürfnis kommunizieren, können wir darauf achten und eingehen. Es ist also nur eine Erweiterung der ohnehin stattfindenden Kommunikation. Wenn wir nicht auf ihre Signale reagieren, kommunizieren wir auch etwas, nämlich: du kannst das Signalisieren einstellen, ich reagiere nicht darauf. Und genau das passiert dann auch. Babys lernen, dass sie kommentarlos in die Windel machen sollen.
Zahlreiche Mütter wissen ganz genau, wann ihre Kinder ein großes Geschäft machen: „Schau mal, wenn er SO guckt, dann macht er gleich groß.“ Und dann warten sie, bis die Windel voll ist, um sie dann zu wechseln. Es wäre doch viel sinnvoller zu sagen: „Oh, ich sehe, dass du mal musst, na dann lass uns mal zur Toilette gehen!“ (Und anschließend kann man dem Kind die noch saubere Windel wieder anziehen.) Jeder kennt Geschichten von Kindern (aus dem 3. Reich zum Beispiel), die rigidem Töpfchentraining ausgesetzt wurden. Kinder, die so lange auf dem Töpfchen sitzen mussten, bis da etwas drin war usw. Ich will das hier gar nicht ausführen. Das war definitiv ein Extrem. Wir befinden uns nun in einem anderen Extrem: Wir kümmern uns überhaupt nicht mehr darum und wundern uns, warum so viel 4-Jährige nicht trocken sind. Warum zeigen sie kein Interesse an der Toilette? Mit Windelfrei können wir einen Mittelweg gehen, der den Eltern und den Kindern gut tut. Wir zwingen Babys zu nichts, Windelfrei ist kein Sauberkeitstraining. Wir greifen ihre vorhandenen Fähigkeiten auf und pflegen sie.
Darüber hinaus spricht eindeutig für Windelfrei, dass die 8.400.000 Wegwerfwindeln, die tagtäglich im deutschen Haushaltsmüll landen, ein großes Umweltproblem darstellen. Es dauert etwa 400-500 Jahre, bis diese verrotten. Kinder werden heutzutage immer später trocken, was oft großen Frust für Eltern und Kinder mit sich bringt. Windeln sind teuer und Wundsein im Schrittbereich, sprich Windeldermatitis, ist schmerzhaft und könnte so vielen Babys erspart werden. Was auch nicht zu verachten ist - im Laufe der ersten 3 Jahre verbraucht ein Kind im Durchschnitt etwa 800 bis 1500 EUR für Windeln - Feuchttücher und Pflegecreme nicht mit eingerechnet - dieses Geld kann zum Teil gespart werden.
Ach, und ist das alles aber nicht irrsinnig viel Arbeit? Irgendwann und irgendwie muss das Kind trocken werden. Ich kann die Arbeit machen, wenn mein Baby klein ist und ich es ohnehin ständig bei mir habe oder ich kann es später machen. Der Vorteil bei Windelfrei liegt auf der Hand: rund um das 2. Lebensjahr sind diese Kinder tags und nachts trocken und Mama kann sich vollauf einem eventuell jüngeren Geschwisterkind widmen.
Zurück zu meiner persönlichen Geschichte: bis meine Tochter 8 Monate alt war, benutzten wir ca. 2-3 Wegwerfwindeln als Pannenschutz pro Tag, wobei sie auch immer wieder stundenweise ganz ohne Windel war. Dann stieg ich um auf ein Back-Up (Pannenschutz) aus Stoff: ein Unterhose aus Wollwalk mit einem Stück Mullwindel darin. So wurde bei einem Pipi die Kleidung selten nass, was manchmal einfach stressfreier war. Nach weiteren 2 Monaten hatte wir so wenige Pipis in der Hose, dass wir meiner Tochter nur noch Unterhose und Hose anzogen und wenn die Hose nass war, haben wir sie einfach gewechselt. Nochmal: wir benutzen keine Windeln oder Back-Ups, seitdem meine Tochter 10 Monate alt ist. DAS ist für mich wahre Freiheit!
„Pipi“ war eines ihrer ersten Worte und so etwas wie Wickelkämpfe und überquellende, stinkende Windeleimer sind uns fremd. Jetzt ist sie 2 Jahre alt, nachts meistens trocken, tagsüber sagt sie ziemlich zuverlässig an. Ich weiß, dass es mit einem 2., 3. oder gar 4. Kind schwieriger wird, weil die Aufmerksamkeit geteilt werden muss, trotzdem würde ich es wieder tun, weil es ein unglaublich befriedigendes Erlebnis war. Klar, es gab auch Momente, die einfach nur blöd waren. Aber die gibt es auch wenn man wickelt.
Neulich stand ich an der Kasse, nur noch ein Kunde vor mir und meine Tochter sagte: „Pipi!“ Und eine halbe Minute später noch mal, nur sagte mir der Tonfall, dass es nun schon in der Hose war. Ach, was soll’s... es gibt Schlimmeres! Ich fand diese ganze Sache so bereichernd, dass ich andere Eltern gerne darüber aufklären wollte. Ich machte bei Babysohnewindeln den Zertifikatskurs zum Windelfrei-Coach und gebe seit einem Jahr in Bonn Windelfrei-Kurse und organisieren Treffen (Näheres dazu unter www.windelfrei-bonn.de).
Ich möchte, dass Eltern wissen, dass sie ihre Kinder mit Wegwerfwindeln oder Stoffwindeln wickeln können oder dass sie auch abhalten können, so dass sie sich entscheiden können und nicht aus Unwissen Vollzeitwickeln. Ca. 75% der Weltbevölkerung halten ihre Babys ab. Das heißt, dass wir hier im Westen die Ausnahme sind, die Exoten, weil wir in Vollzeit wickeln. Also: Windelfrei - ganz normal!
Neulich stand ich an der Kasse, nur noch ein Kunde vor mir und meine Tochter sagte: „Pipi!“ Und eine halbe Minute später noch mal, nur sagte mir der Tonfall, dass es nun schon in der Hose war. Ach, was soll’s... es gibt Schlimmeres! Ich fand diese ganze Sache so bereichernd, dass ich andere Eltern gerne darüber aufklären wollte. Ich machte bei Babysohnewindeln den Zertifikatskurs zum Windelfrei-Coach und gebe seit einem Jahr in Bonn Windelfrei-Kurse und organisieren Treffen (Näheres dazu unter www.windelfrei-bonn.de).
Ich möchte, dass Eltern wissen, dass sie ihre Kinder mit Wegwerfwindeln oder Stoffwindeln wickeln können oder dass sie auch abhalten können, so dass sie sich entscheiden können und nicht aus Unwissen Vollzeitwickeln. Ca. 75% der Weltbevölkerung halten ihre Babys ab. Das heißt, dass wir hier im Westen die Ausnahme sind, die Exoten, weil wir in Vollzeit wickeln. Also: Windelfrei - ganz normal!
© Freya Donner
Zum Weiterlesen
Olson, Andrea, EC Simplified
Weitere Informationen und Windelfrei-Coaches findet man hier: www.babysohnewindeln.de
Studie „Babys pinkeln nicht im Tiefschlaf“:Yeung CK, Godley ML, Ho CK, Ransley PG, Duffy PG, Chen CN, Li AK. Some new insights into bladderfunction in infancy. Br J Urol. 1995 Aug;76(2):235-40
Studie „Neugeborene signalisieren“: Rugolotto, S.; Sun, M.; Boucke, L. Calò, DG; Tatò, L. (2008): „Toilet training started during the first year of life: a report on elimination signals, stol toiletting refusal and completion age“. Minerva Pediatrica 60: 27-35
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