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Was ist denn Bauchgefühl eigentlich? Wo kommt es her? Bauchgefühl, auch Intuition genannt, ist eine Erkenntnis, die einem schnell, ohne den Umweg über den langsamen Verstand, "eingegeben" wird. Das geht aber nur, wenn sich das Gehirn vorher intensiv mit der Sache auseinander gesetzt hat. Diese kognitive Auseinandersetzung müssen wir gar nicht bemerken - als wir selbst Babys und Kleinkinder waren, wurden wir und unsere Geschwister von unseren Eltern umsorgt. Das allein schon genügt, um einen Basisschatz an Wissen um den Umgang mit Babys zu erlangen. Dieser ist dann im Laufe unseres Heranwachsens in das Zentrum des Gehirns gerutscht, das für das "Unbewusste" zuständig ist. Kommen wir nun in eine Situation, die für uns scheinbar neu ist - mit dem eigenen Baby ist sie es ja - arbeitet sich manchmal so ein kleines Fünkchen Wissen aus dem Unterbewusstsein hoch - und wir haben ein "Bauchgefühl".
Intution ist demnach kein 6. Sinn, sondern ein unbewusstes Zugreifen auf Erfahrungen der eigenen Kindheit. Wenn wir also nach Bauchgefühl handeln, erziehen wir im Prinzip unbewusst genau so, wie unsere Großeltern und Eltern erzogen haben. Ich hatte schon in meinem Bindungs-Artikel geschrieben, dass diese Tatsache schön ist, wenn man selbst eine feinfühlige, empathisch reagierende Mutter hatte, die all unsere Signale zeitnah und richtig entschlüsseln konnte und unsere Bedürfnisse liebevoll befriedigt hat. Ist man jedoch in Deutschland aufgewachsen und die Großeltern entstammen einer Generation, die ab 1933 ihre Kinder bekamen, ist es vielleicht nicht schlecht, sein eigenes Bauchgefühl nochmal zu überdenken...
Die Erziehung unserer Großeltern
Unsere Urgroßeltern und Großeltern (je nachdem, wann ihr geboren seid) hatten es schwer. Sie wurden in einer Zeit Eltern, in der die oberste Priorität darin bestand, dem Führer gesunde, starke Söhne zu schenken.
"Wir erleben [...] heute einen groß angelegten Feldzug unserer Staatsführung mit, in dem das gesunde Erbgut und das rassisch Wertvolle zäh verteidigt werden gegen alles Krankhafte und Niedergehende, das unter der Herrschaft eines falsch verstandenen Freiheitsbegriffes zu überwuchern drohte. Jedem Volksgenossen müssen die Augen geöffnet werden für die Bedeutung der richtigen Gattenwahl auch nach gesundheitlichen und rassischen Gesichtspunkten. Auf diese Weise wird der Boden vorbereitet für das Heranwachsen eines gesunden, geistig und körperlich wertvollen neuen Geschlechts." (Haarer, 1939: 7).
Dieses Zitat ist dem nationalsozialistischen Erziehungsratgeber "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" entnommen, welches auch nach 1945 (in Sprache bereinigt, die Praktiken der neuen Zeit etwas angepasst) bis in die 80er Jahre hinein unter dem Titel "Die Mutter und ihr erstes Kind" ganzen Generationen an Müttern Tipps zum Umgang mit dem Baby und Kleinkind gab.
Die Erziehungsideale des Dritten Reiches waren, das Kind "früh abzuhärten". Gefühle galten als Verzärtelung, deutsche Jungen und Mädchen weinten nicht, sie fürchteten sich nicht, sondern zeigten Mut, Stärke und Unerschrockenheit, bis hin zur Selbstaufgabe für das Volk. Um das zu erreichen, musste die Erziehung des Kindes laut Haarer (der Autorin von "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind") unmittelbar nach der Geburt beginnen.
Das Baby so oft wie möglich ablegen
Großeltern
Liest man in "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind", wird man feststellen, dass im Dritten Reich das gesunde Neugeborene gleich nach der Abnabelung in ein Tuch gehüllt und erst einmal zur Seite gelegt wird. Erst nach 24 Stunden wird es der Mutter zum ersten Mal zum Stillen gereicht. In diesen 24 Stunden soll es möglichst allein in einem Raum bleiben, wobei es natürlich zwischenzeitlich gewaschen, gewickelt und angezogen wurde. Auch später, wenn Mutter und Kind zuhause sind, rät Haarer vehement dazu, Mutter und Kind getrennt unterzubringen, damit der Mutter "unnötige Beunruhigungen" erspart werden (das Horchen auf jede noch so kleine Lebensäußerung des Neugeborenen) und dem Kind, wie sie sagt, zu ersparen, von "allzuvielen Menschen hochgenommen und geräuschvoll begutachtet zu werden" (vgl. Haarer, 1939: 109). Außerdem, fügt sie hinzu, sei die räumliche Trennung von Mutter und Kind von außerordentlichem erzieherischen Vorteil.
"Am besten ist das Kind in einem eigenen Zimmer untergebracht, in dem es dann auch allein bleibt. [...] Besonders im Winter, wenn nur ein beheizter Raum zur Verfügung steht, läßt es sich aber nicht vermeiden, daß es zusammen mit der übrigen Familie untergebracht wird. [...] Von vornherein mache sich die ganze Familie zum Grundsatz, sich nie ohne Anlaß mit dem Kinde abzugeben. Das tägliche Bad, das regelmäßige Stillen, das Wickeln des Kindes bieten Gelegenheit genug, sich mit ihm zu befassen [...]" (Haarer, 1938, S. 165).
Eltern
Dass Neugeborene nach der Geburt von der Mutter getrennt und erst einmal gewaschen, gewogen und gemessen wurden, ist auch in den 70er Jahren nahezu gang und gäbe gewesen, ja, sogar bis in die 80er Jahre lassen sich diese Praktiken in einigen Kliniken nachverfolgen. Auch das sogenannte Rooming-In, also die Praxis, dass das Baby bei der Mutter und nicht hinter dickem Glas in einem Säuglingszimmer liegt, wurde erst 1969 in einem Münchener Krankenhaus eingeführt. Leider bedeutet aber nicht, dass sich die Praxis des Rooming-In danach schlagartig verbreitet hätte. Meine Eltern - ich wurde 1976 geboren - versichern mir glaubhaft, dass das auch zu meiner Geburt eher eine Ausnahme war. Wenn überhaupt, wurde das Teil-Rooming-In praktiziert: Die Mutter bekam das Kind von 9.30 bis 19.00 aufs Zimmer gebracht, in der Nacht schlief es im Säuglingszimmer und wurde dort mit Glukose gefüttert. In Kliniken, die kein Rooming-In hatten, wurden die Neugeborenen ihren Müttern alle 4 Stunden aufs Zimmer zum Stillen gebracht. Zeitzeugen berichten, dass ein großer Wagen mit den kleinen Menschlein dann zur rechten Zeit durch den Gang geschoben wurde und diese der jeweiligen Mutter für 20 Minuten in den Arm gedrückt.
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Auch das Ablegen des neugeborenen Babys war für unsere Eltern normal. In den meisten Fällen lagen wir irgendwo rum - im Bettchen, im Kinderwagen, im Stubenwagen, im Ställchen. Immerhin wurde uns in den meisten Fällen nicht mehr die Tür vor der Nase zu gemacht, wie es unsere Eltern (und teilweise die Großeltern) als Babys noch oft erleiden mussten. Wir durften in den Zimmern sein, in denen auch die Familie war. Wir mögen nicht die meiste Zeit auf dem Arm oder Körper unserer Eltern gewohnt haben, aber wir fristeten auch kein einsames Leben mehr im abgedunkelten, ruhigen Nebenraum. Nur zum Schlafen wurden wir selbstverständlich ins Kinderzimmer gebracht.
Bei Haarer klingt das 1973 so:
"Es ist aber andererseits verkehrt, [...] das Baby allzusehr zu isolieren. [...] In Famlien, die eine sehr kleine Wohnung haben und wo das Baby deshalb Tag und Nacht "dabei" ist, da pflegen Kinder oft zufriedener zu sein. Schon das ganz kleine Baby hat offenbar ein Gefühl dafür, ob es in der Nähe der Großen sein darf oder ob es abgeschoben wird" (Haarer, 1973: 145f)
Wir
Heutzutage würden den Krankenhäusern verständlicherweise die Patientinnen weglaufen, wenn nicht ganz selbstverständlich das Rooming-In angeboten werden würde. Nach der Geburt wird in den allermeisten Fällen der Mutter und dem neugeborenen Erdenbürger eine gute Stunde Kennenlernzeit im Kreißsaal gegeben, bevor das Kind vermessen und gewogen wird. Das ist auch wichtig, denn nach den Säuglingsforschern Klaus und Kennel sind Neugeborene etwa 60 Minuten lang nach ihrer Geburt in einem Zustand der sogenannten "ruhigen Aufmerksamkeit". Das Baby ist hellwach, seine Augen sind geöffnet und es beobachtet seine Umgebung und seine Eltern mit großer Konzentration. Danach fällt es in einen drei- bis vierstündigen Schlaf (Klaus/ Kennel, 1987:101).
Auch das Anlegen an die Brust wird in dieser Zeit unterstützt. Etwa 20 Minuten nach der Geburt ist der uns angeborene Saugreflex am stärksten ausgeprägt. Wird ein Kind in dieser Zeit angelegt, ist der erste Grundstein für eine gute Stillbeziehung schon gelegt. Natürlich können Kinder, die durch eine Notsituation nicht in dieser Zeit an die Brust kommen, trotzdem kleine Stillexperten werden, doch der Weg dorthin ist zumindest am Anfang etwas steiniger (vgl. Klaus/Kennel, 1987: 101).
Mutter und Kind stellen sich also in dieser sensiblen halb- bis einstündigen Phase mit jeder Faser ihres Körpers aufeinander ein und verschmelzen, wie es die Natur vorgesehen hat, quasi zu einer Einheit.
Diese Einheit wird auch durch das Tragen des Kindes - im Gegensatz zum Ablegen - gestärkt. Dass der Mensch von Natur aus ein Tragling ist, hat sich in der heutigen Müttergeneration bereits herumgesprochen. Der Begriff "Tragling" wurde 1970 von dem Biologen B. Hassenstein geprägt, als er feststellte, dass Primatenjunge weder den bis dato definierten Typen "Nestflüchter" noch "Nesthocker" zuzuordnen waren.
"Ihr allgemeiner Entwicklungsstand entspricht dem des Nestflüchters [...] ihr Beinskelett ist jedoch so beschaffen, dass die Handflächen, ebenso die Fußsohlen (anders als bei den Lauftieren) in der Normalhaltung einander zugekehrt sind, so dass Finger und Zehen ins Fell des tragenden Elterntieres greifen können." (Hassenstein,1992).
Aktiv mit Händen und Füßen am Körper anklammern kann sich der menschliche Säugling nicht, es gibt jedoch Reflexe, Verhaltensweisen und anatomische Besonderheiten, die laut Autorin Evelin Kirkilionis die aktive Beteiligung des Säuglings am Tragen aufzeigen (Kirkilionis, 1999). Die kleinen Füße unserer neugeborenen Kinder sind leicht nach innen geneigt. Bei Berührung drehen sie reflexartig die Fußsohle nach innen und krümmen die Zehen, als wollte das Baby mit seinen Füssen zugreifen. Der Palm-Reflex der Hände ermöglicht ein aktives Anklammern und ist so stark, dass ein Neugeborenes sein eigenes Gewicht halten kann, wenn es sich an eine Wäscheleine klammert. Sobald ein Baby von seinen Eltern hochgenommen wird, zieht es seine Beine reflexartig in stark angehockter und abgespreizter Haltung an – es erwartet, auf der Hüfte getragen zu werden. Die Schienbeinknochen eines Babys weisen im ersten Lebensjahr eine Neigung von durchschnittlich 18,5° auf. Diese O-Bein Krümmung verliert sich erst im Laufalter und deutet ebenfalls auf ein Festklammern am elterlichen Körper hin (Manns/Schrader, 1995). Die unreife Hüfte des Neugeborenen kann optimal nachreifen, wenn das Kind getragen wird: Die Oberschenkel stehen beim Tragen auf der Hüfte bei 90° bis 110° Anhockung und 45° Spreizung - in genau diesem Winkel haben Hüftpfanne und Oberschenkelkopf die bestmögliche Stellung für eine Nachreifung zueinander. Interessanterweise begibt sich ein Säugling in ebendiese Stellung, um möglichst entspannt zu liegen: 100° Anhockung und 40° Spreizung. Daraus folgt, dass ein Kind auf der Hüfte getragen nicht nur die medizinisch optimalste Haltung für seine Hüfte hat, es nimmt gleichzeitig die für es entspannteste Haltung ein (Manns/Schrader, 1995).
Anders als Nestflüchtige und Nesthocker beginnen Traglinge bei Verlust des Körperkontaktes zur Mutter zu weinen (Hilsberg, 1985) und beruhigen sich erst, wenn sie wieder hochgenommen werden (oder das Tragen durch schaukeln in einer Federwiege simuliert wird). Nestflüchter brauchen zu ihrer Beruhigung nur Sichtkontakt zur Mutter, Nesthocker werden sogar über längere Zeit von ihren Eltern allein gelassen und verhalten sich in dieser Zeit absolut still, um nicht von Feinden gefunden und gefressen zu werden. Daraus folgt, dass es für unsere Kinder sowohl emotional beruhigend, als auch körperlich entspannend und medizinisch optimal ist, viel getragen zu werden. Sie schlafen fester und länger, wenn sie an uns kleben (oder auf uns drauf liegen) und die Mutter- Kind bzw. Vater- Kind-Bindung wird nach und nach gefestigt.
Der Vorsicht halber weise ich hier noch einmal explizit darauf hin, dass auch Traglinge durchaus abgelegt werden dürfen. Dann nämlich, wenn sie auf dem Bauch oder Rücken ihre eigenen motorischen Erfahrungen machen wollen und auch dann, wenn die Eltern körperlich zu geschafft sind, sie noch eine Minute weiter zu halten. Die Anschaffung eines Tragetuches (z. B. von Didymos, Hoppediz oder Amazonas), oder oder einer anderen Tragehilfe (Mei Tai, Emeibaby oder Bondolino) hilft enorm, ebenso wie eine regelmäßige Massage!
Weinen lassen
Großeltern
Aus uralter Zeit verfolgt uns der Mythos "Schreien kräftigt die Lungen". Schon 1891 zitiert Kübler im "Buch der Mütter" den berühmten Arzt Hufeland, Schreien sei für Kinder eine
"höchst wohltätige und notwendige Sache. Es [...] belebt den Blutumlauf und bewirkt gleichförmigere Verteilung der Säfte, es befördert Verdauuung und die ganze Ernährung des Körpers, es zerteilt Stockungen und Anhäufungen im Unterleibe und befördert alle Absonderungen, insbesondere die so wichtige Ausdünstung der Haut" (vgl. Kübler, 1891).
Das Trösten des Kindes, so schreibt er weiter, könne dazu führen, dass es
"eine weniger starke Brust bekommt, als es außerdem haben würde und dass sich leichter [...] krankhafte Erzeugnisse darin bilden" (vgl. ebd., 1891).
Auch in Zeiten des Nationalsozialismus darf das Weinen des Babys, sofern klar ist, dass es satt, trocken und nicht zu kalt oder warm angezogen ist, nicht "bekämpft" werden. Haarer schreibt:
[....] dann, liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszuheben, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen. Das Kind begreift unglaublich rasch, daß es nur zu schreien braucht, um eine mitleidige Seele herbeizurufen und Gegenstand solcher Fürsorge zu werden. Nach kurzer Zeit fordert es diese Beschäftigung mit ihm als ein Recht, gibt keine Ruhe mehr, bis es wieder getragen, gewiegt und gefahren wird - und der kleine aber unerbittliche Haustyrann ist fertig. (Haarer, 1939: 170)
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"Das Kind wird nach Möglichkeit an einen stillen Ort abgeschoben, wo es allein bleibt, und erst zur nächsten Mahlzeit wieder vorgenommen. Häufig kommt es nur auf einige wenige Kraftproben zwischen Mutter und Kind an - es sind die ersten! - und das Problem ist gelöst" (ebd., 1939: 170).
Problematisch wird es laut Haarer nur dann, wenn es in der Familie Frauen älterer Generation gibt:
"Sie [....] können kein Kind schreien hören, ohne sich sofort darauf zu stürzen. Sie sind stets von neuem empört über die "herzlose, moderne Mutter", die nach Erfüllung aller ihrer Pflichten in Ernährung und Pflege des Kindes [ ...] sich von ihrem Kind nicht tyrannisieren läßt. Nicht entschieden genug kann in dieser Hinsicht vor falscher Nachgiebigkeit gewarnt werden. Sie ist ganz unnütz, verzieht das Kind und raubt der Mutter Zeit und Kraft" (ebd., 1939: 170).
Eltern
Dreißig Jahre später schreibt dieselbe Autorin im gleichen Buch schon etwas abgemildeter:
"Daher möchten wir als erstes raten, mit dem ganz kleinen Baby nicht allzu streng umzugehen und sich nicht allzu starr an gewisse Regeln zu halten. Freilich darf man das Baby nicht bei jedem Piepser gleich aus dem Bett nehmen, herumtragen, wiegen und auf dem Schoß halten. Auf diese Weise - sie war zur Zeit unserer Urgroßmütter üblich! - erzieht man sich nur einen kleinen Haustyrannen. Nein, Sie müssen jetzt Ihren mütterlichen Instinkt und Ihren gesunden Menschenverstand zur Hilfe nehmen und einen Mittelweg finden zwischen den oft allzu strengen Lehrern der Säuglingspflege und dem, was das Kind ganz offenkundig braucht" (Haarer, 1973: 144).
Lag es an den fehlenden mütterlichen Instinkten oder dem fehlenden gesunden Menschenverstand? Fakt ist, dass die meisten von uns, die wir in den 70er Jahren geboren wurden, von unseren Eltern viel zu oft und lange schreien gelassen wurden. Auf Familienfeiern übertreffen sich zuweilen die Geschichten unserer Elterngeneration, wer es wo und wie lange besonders gut ausgehalten hat, sein Kind schreien zu hören, bis es aufgibt. Da berichtet der Großvater eines jetzt fünfjährigen Enkels seiner verdutzten Tochter: "Als wir damals aus dem Krankenhaus kamen, haben wir dich ins Kinderzinmer ins Bettchen gelegt und ich habe die Tür abgeschlossen und den Schlüssel versteckt. Deine Mutter hätte es sonst nicht ausgehalten und wäre zu dir reingerannt, so doll hast du geschrien." Andere erzählen, dass sie immer durchs Schlüsselloch geguckt hätten, ob es dem Baby "gut" geht. Solange es satt, trocken und fieberfrei gewesen sein, hätte es doch keinen Grund gegeben, dem Weinen nachzugeben.
Auch bei Haarer findet man unter der Kapitelüberschrift "Das Baby schreit" viele Gründe, warum ein Baby schreien könnte. "Naß? Schmutzig? Hunger? Durst? Schmerzen? Licht/Unruhe? Zu warm? Zu kalt? Wund?" (vgl. Haarer, 1973:144ff). Dass es vielleicht nach der Nähe der Eltern Sehnsucht haben könnte, bedenkt sie nicht. Den Müttern wird suggeriert, dass es einen körperlichen Grund für das Weinen geben muss. Sie werden dazu angehalten, durch Auschlussverfahren herauszufinden, was es sein könnte. Als letzter Ausweg, wenn das Kind trotz aller Pflege weiterschreit, wird der Nuckel angeboten.
Auch bei Haarer findet man unter der Kapitelüberschrift "Das Baby schreit" viele Gründe, warum ein Baby schreien könnte. "Naß? Schmutzig? Hunger? Durst? Schmerzen? Licht/Unruhe? Zu warm? Zu kalt? Wund?" (vgl. Haarer, 1973:144ff). Dass es vielleicht nach der Nähe der Eltern Sehnsucht haben könnte, bedenkt sie nicht. Den Müttern wird suggeriert, dass es einen körperlichen Grund für das Weinen geben muss. Sie werden dazu angehalten, durch Auschlussverfahren herauszufinden, was es sein könnte. Als letzter Ausweg, wenn das Kind trotz aller Pflege weiterschreit, wird der Nuckel angeboten.
"Wenn es auch nicht gerade modern ist - aber hin und wieder greift man eben doch zum Schnuller. [..] Der Schnuller stoppt in vielen Fällen das Schreien sofort" (ebd., 1973: 148).
Was zu tun ist, wenn der Nuckel das Weinen eben doch nicht stillt, überläßt Haarer der Phantasie ihrer Leser. Immerhin forderte sie nicht mehr explizit dazu auf, in einem solchen Fall "hart zu werden". Leider lasen zu viele Eltern zwischen den Zeilen oder hatten, wie im Eingangsabsatz beschrieben, ein "Bauchgefühl", das auf ihrer eigenen Erziehung als Baby beruhte.
Wir
Heute wissen wir es besser. Die wenigsten Mütter und Väter lassen ihre Kinder heute noch absichtlich und über einen längeren Zeitraum allein weinen. Warum es so wichtig ist, zeitnah und feinfühlig darauf einzugehen, wurde in den Artikeln "Schreien lassen - Warum Babys nicht grundlos schreien und man sie dabei nie allein lassen sollte" und in "Bindung - Was ist Bindung, warum brauchen wir sie und wie entsteht sie?" ausführlich beschrieben. Schreien signalisiert immer ein unerfülltes Grundbedürfnis, in den meisten Fällen ist das der Wunsch nach Nähe zu den Eltern!
Dass auch hungrige Babys weinen, ist sicher allen klar. Was viele aber nicht wissen ist, dass das Baby zunächst gut 30 Minuten lang mithilfe von Nahsignalen seine Bedürfnisse ausdrückt. Interpretieren die Eltern sein Räkeln und Knarzeln nicht richtig ("Hallo, ich habe Hunger!", "Hallo, ich fühle mich allein und brauche Körperkontakt!"), denkt das Baby insinktiv, dass es allein gelassen wurde und brüllt mit maximaler Lautstärke los. Viele Eltern sind irritiert, dass dies so plötzlich geschieht (eben weil sie die Nahsignale nicht erkannt haben), aber rein evolutionsbiologisch ist nichts anderes sinnvoll: Nimmt das Baby an, dass die Mutter weit weg sein muss, weil sie sich bis jetzt nicht um es gekümmert hat, muss es all seine Resourcen einsetzen, sie zurückzurufen. Da das Weinen in jedem Fall Fressfeinde anlockt, egal, ob das Baby nur mittelstark oder besonders laut weint, und es sich somit in Lebensgefahr begibt, muss das Kind gleich alles geben, damit seine Mutter es hört, egal, wie weit weg sie ist (vgl. Renz-Polster, 2011: 150f).
Neben Schmerzen (Blähungen, Verspannungen, Blockaden) ist auch die Überreizung des Kindes eine der Hauptursachen von schier unstillbarem Schreien. In so einem Fall ist es eher kontraproduktiv, wie von Haarer vorgeschlagen, nacheinander zu überprüfen, ob das Kind hungrig, müde, nass, wund etc. ist, denn je mehr Reizen das Kind in einer solchen Situation ausgesetzt ist, desto lauter weint es. Was man stattdessen tun kann, wurde in diesem Artikel ausführlich beschrieben.
Neben Schmerzen (Blähungen, Verspannungen, Blockaden) ist auch die Überreizung des Kindes eine der Hauptursachen von schier unstillbarem Schreien. In so einem Fall ist es eher kontraproduktiv, wie von Haarer vorgeschlagen, nacheinander zu überprüfen, ob das Kind hungrig, müde, nass, wund etc. ist, denn je mehr Reizen das Kind in einer solchen Situation ausgesetzt ist, desto lauter weint es. Was man stattdessen tun kann, wurde in diesem Artikel ausführlich beschrieben.
Nasse Windeln sind übrigens - wie ein Forschungsteam untersuchte - weitaus weniger oft Grund zum Weinen, als Eltern mithin annehmen. In dem Test wurden Eltern gebeten, ihren Kindern die nasse Windel gleich wieder anzulegen. Diese Kinder weinten danach nicht stärker als solche, die eine frische Windel bekamen. Wichtiger als das Trockenlegen scheint also die elterliche Interaktion und Zuwendung zu sein (vgl. ebd., 2011: 152).
Allein Einschlafen lassen / In den Schlaf schreien lassen
Großeltern
Nach allem, was ich bereits über die Erziehung im Dritten Reich geschrieben habe, ist es sicher nicht verwunderlich, dass den damaligen Müttern auch beim Thema Schlafen zur Brachialmethode geraten wurde. Nicht nur, dass das Neugeborene selbstverständlich allein im eigenen Bett und im eigenen Zimmer schläft, es soll natürlich auch nicht gestillt und nicht hochgenommen werden.
"Bei großen kräftigen Kindern sei der Mutter abermals der Rat gegeben: Schreien lassen! Jeder Säugling soll von Anfang an nachts allein sein. Nun macht ja Kindergeschrei vor Türen und Mauern nicht halt. Die Eltern müssen dann eben alle Willenskraft zusammennehmen und, nachdem das Kind gut versorgt wurde, sich die Nacht über nicht sehen lassen. Nach wenigen Nächten, vielfach schon der ersten, hat das Kind begriffen, daß ihm sein Schreien nichts nützt, und ist still" (vgl. Haarer, 1939: 171).
Schreit das Kind in der Nacht trotzdem und die "deutsche Mutter" vermutet, dass es Hunger hat, soll sie dem Kind Tee oder Fruchtsaft anbieten, möglichst aber nicht die 8-stündige Stillpause unterbrechen, die die Brust laut Haarer zur Regeneration braucht. Allerdings warnt sie eindringlich davor, dass bei Gabe von Tee und Schnuller die Gefahr besteht, dass sich das Kind daran gewöhnt und immer wieder danach verlangt (vgl.ebd., 1939: 171).Einzig und allein bei kleinen, zarten Kindern, die schlecht zunehmen und nachts hartnäckig schreien, erlaubt die Autorin eine Ausnahme:
"[...] ein Ausweg, der immer hilft: Auch nachts einmal stillen! Dies ist wohl etwas angreifend für die Mutter. Immerhin ist es aber weniger aufreibend, als stundenlang wach zu liegen und seinen Säugling schreien zu hören. Auch hier besteht die Gefahr der Gewöhnung [...]" (ebd., 1939: 171).
Eltern
In "Die Mutter und ihr erstes Kind" der 70er Jahre schreibt Haarer fast nichts über das "Schlafen". Ich habe das Buch von hinten bis vorn gelesen und nur ein paar wenige Textstellen gefunden, in denen sie auf das Thema näher eingeht. Das finde ich ganz und gar verwunderlich - schliefen die Babys in den 70er/80er Jahren etwa unproblematisch durch?
Haarer erklärt:
"Das Neugeborene verschläft von 24 Stunden ungefähr 15 - 16 Stunden. Diese Schlafenszeit bringt es in kleinen Abschnitten von etwa 3 bis 4 Stunden hinter sich. Auch in der Zwischenzeit ist es oft nicht richtig wach, es dämmert vor sich hin. [...] Schlafen und Wachen [ist] abhängig von den Mahlzeiten. Wenn das Baby getrunken hat und satt ist, schläft es ein (vgl. Haarrer, 1973, 143f)" und
"Die Schlafenszeit ihres Babys nimmt gegen Ende des ersten Lebensjahres auf etwa 11 Stunden ab. [...] Die meisten Kinder machen ein kurzes Vormittagschläfchen und einen ausgiebigen Mittagschlaf. Die Nachtruhe sollte in den späteren Monaten kein Problem mehr sein" (vgl. Haarer, 1973: 237).
Was Mütter tun können, wenn die Nachtruhe eben doch zum Problem wird, darüber schweigt sie sich aus. Wenn der Nuckel als Einschlafhilfe versagt, was taten die Eltern der 70er Jahre? - Sie haben uns schreien lassen, das wurde mir von verschiedenen Müttern unserer Elterngeneration berichtet, und zwar so lange, bis wir verstummten und einschliefen. Offenbar scheint das tatsächlich zeitlich nicht mehr ganz so lange gewesen sein, denn wenn schon am Tag das Weinen nicht immer prompt beantwortet wurde, weil das Kind ja satt, trocken und eigentlich zu frieden sein müsste und nur alle vier Stunden Hunger haben durfte, wird möglichwerweise die Anstregung, in der Nacht um Hilfe zu rufen, nur wenige Male gemacht worden sein. Insofern wird die Erinnerung unserer Eltern, dass wir damals nicht solchen "Terz" gemacht haben, wie die Kinder heutzutage, richtig sein. Wir haben nicht lange geschrien und wir schliefen auch schon früh durch. Es blieb uns auch nichts anderes übrig.
Haarers Tipp, das Baby auf dem Bauch schlafen zu lassen, hatte sicherlich einen positiven Einfluss auf unser nächtliches Durchschlafen, denn auch wenn es heute nicht mehr den SIDS - Sicherheitsstandards entspricht, ist es doch die Position, in denen Babys am liebsten und am entspanntesten Schlafen.
"Sehr empfohlen wird die Bauchlage! Sie ist günstig für die Atmung, gesund für die Wirbelsäule und sie kräftigt die Muskeln. [...]. Natürlich darf das Kind auch auf dem Rücken liegen, aber nicht dauernd, sonst wird der Hinterkopf flach. [...] Orthopäden und Kinderärzte sind heute davon überzeugt, daß unsere Kinder in ihrem Bettchen von Anfang an auf dem Bauch liegen sollten" (Haarer, 1973: 140f).
Interessant ist ein kurzer Abschnitt über eine Vorrichtung namens "Haltegurt", die eigentlich dazu dient, das Kind vor dem Rausfallen aus dem Kinderwagen zu schützen:
"Mit dem Haltegurt kann man ein lebhaftes Kind vor dem Einschlafen in seinem Bettchen zum Stilliegen bringen" (Haarer, 1973: 236).
Offenbar ist es beim "größeren Baby" (Überschrift des Kapitels) doch nicht so ganz einfach, es zum Schlafen zu bringen, dafür muss man es dann schon anbinden...
Wir
Ich wünschte, ich könnte mit ruhigem Gewissen schreiben, dass die heutige Müttergeneration ihre Kinder nicht mehr in den Schlaf weinen lässt, doch allein schon eine kurze Umfrage in einer Krabbel-Gruppe reicht aus, um das Gegenteil zu beweisen. Leider sind viele Mütter noch der irrigen Annahme, ein Kind müsse so schnell wie möglich durchschlafen, und wenn es das nicht von allein schafft, diese Fähigkeit "erlernen". Immerhin wird heute nicht mehr einfach nur brutal "durchschreien" gelassen, aber das ist auch schon der einzige positive Punkt des Ganzen. Heute wird Schreien gelassen, unterbrochen mit kurzen Zuwendungszeiten. Weint das Kind, warten die Eltern eine vorgegebene Anzahl von Minuten ab, um dann ins Zimmer des Kindes zu gehen, es ohne Hochnehmen im Bettchen kurzzeitig beruhigen, um dann wieder einfach so aus dem Zimmer zu verschwinden. Da das Weinen mit der Ausschüttung des Stresshormons Cortisol einhergeht, funktioniert Trösten eigentlich nur durch direkten Körperkontakt (möglichst viel Haut an Haut), wie schon in unserem Bindungsartikel dargestellt wurde. Ein Beruhigen durch die Gitterstäbe hinweg, allein mit Worten oder Streicheln ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein und reicht nicht aus, den Stresslevel im Inneren des Kindes zu verringern. Im Prinzip hilft man seinem Kind damit rein gar nicht - ob man es nun allein durchschreien lässt, wie unsere Großmütter und Mütter es taten, oder es auf moderne Art "dosiert" schreien läßt mit kurzen Hoffnungsschimmern, wenn die Eltern doch noch durch die Zimmertür kommen, und erneuter Frustration, wenn diese dann trotzdem nicht ausreichend auf das Weinen eingehen und schon nach kurzer Zeit wieder gehen, ist eigentlich gehupft wie gesprungen. Barbarisch sind beide Methoden.
Es gibt übrigens bis heute keine kontollierte Studie über die Nebenwirkungen des "dosierten Schreienlassen", und zwar deshalb, weil die Durchführung ethisch nicht vertretbar wäre (vgl. Lüpold, 2010: 3)! Um so schlimmer, dass noch immer Kinderärzte, Hebammen und Schreiambulanzen (!) diese Methoden den verunsicherten und übermüdeten Eltern ans Herz legen. Gerade sie sollten doch wissen, dass aus wissenschaftlicher Perspektive die Anwendung von "Schlaftrainings", die auf Schreien lassen beruhen, ethisch und moralisch nicht vertretbar ist. Langjährige Forschungen auf dem Gebiet der Bindungstheorie und der Hirnforschung belegen eindrücklich, dass Methoden a la Ferber und Co der hirnorganischen und sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern sowie dem Aufbau einer guten Eltern-Kind-Beziehung und dem Urvertrauen schaden (vgl., ebd., 2010: 4).
Es gibt übrigens bis heute keine kontollierte Studie über die Nebenwirkungen des "dosierten Schreienlassen", und zwar deshalb, weil die Durchführung ethisch nicht vertretbar wäre (vgl. Lüpold, 2010: 3)! Um so schlimmer, dass noch immer Kinderärzte, Hebammen und Schreiambulanzen (!) diese Methoden den verunsicherten und übermüdeten Eltern ans Herz legen. Gerade sie sollten doch wissen, dass aus wissenschaftlicher Perspektive die Anwendung von "Schlaftrainings", die auf Schreien lassen beruhen, ethisch und moralisch nicht vertretbar ist. Langjährige Forschungen auf dem Gebiet der Bindungstheorie und der Hirnforschung belegen eindrücklich, dass Methoden a la Ferber und Co der hirnorganischen und sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern sowie dem Aufbau einer guten Eltern-Kind-Beziehung und dem Urvertrauen schaden (vgl., ebd., 2010: 4).
Dr. phil. hist. Franz Renggli, Psychoanalytiker und Familien- und Babytherapeut schreibt:
"Ein Schlaftraining ist eine Methode, bei der jegliche Gefühle zugeschüttet werden. Dies hat immense Auswirkungen auf das zukünftige emotionale Empfinden eines Menschen und wird in allen seinen zwischenmenschlichen Beziehungen auf ganz problematische Weise wieder zum Vorschein kommen" (vgl. Lüpold, 2009: 128).
Prof. Dr. Gerald Hüther, Leiter der Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Universität Göttingen und Mannheim erklärt, welche neurologischen Prozesse bei einem Schlaftraining ablaufen:
"Selbstverständlich ist es [die Ferbermethode, d.V.] für ein Kleinkind nicht nur eine Belastung, sondern eine tiefe und nachhaltige Erschütterung seines Vertrauens zu sich selbst (sein Schreien hilft nicht) und zu seiner Bezugsperson (sie kommt nicht, wenn ich sie brauche). Man kann natürlich Kinder darauf konditionieren, sich damit abzufinden. Und natürlich werden durch diese Erfahrung die dabei aktivierten Verschaltungsmuster im Gehirn gebahnt und stabilisiert. Auf diese Weise werden sie in brutaler Weise auf die traurige Realität unserer gegenwärtigen Beziehungskultur vorbereitet, sie sind dann auch "hirntechnisch" optimal an das angepasst, was sie erwartet" (vgl. Lüpold, 2010: 8).
Glücklicherweise weiß die Mehrzahl der heutigen Mütter, dass (dosiertes) Schreienlassen als Einschlaftraining nicht probat ist. Statdessen schlafen mehr und mehr Babys wieder im Familienbett und werden auch dort nach Bedarf gestillt, wobei diese Tatsache interessanterweise von vielen Familien vor anderen geheim gehalten wird und diese dann erleichtert sind, wenn sie hören, dass auch die Kinder der Freunde noch im elterlichen Bett nächtigen und an der Brust hängen.
Ich denke, heute sollte erlaubt sein, was der individuellen Familie am besten tut. Schläft das Kind ohne Probleme friedlich in seinem eigenen Bettchen ein, halte ich es nicht für verwerflich, es dort schlafen zu lassen. Sind alle Familienmitgleider zufrieden damit, bunt gemischt in einem Bett zu nächtigen, spricht ebenfalls nichts dagegen. Ich persönlich finde es wichtig, sich an die SIDS-Präventions-Richtlinien zu halten, d. h. z. B. das Kind im ersten Lebensjahr im Elternschlafzimmer schlafen zu lassen. Darüber hinaus sollte jeder selbst entscheiden, was ihm und seinem Kind gut tut. Nur das Schreien lassen, das sollten Eltern tunlichst vermeiden.
Fazit
Sieht man sich Ratgeber wie "Die Deutsche Mutter und ihr erstes Kind" oder auch "Jedes Kind kann schlafen lernen" und deren fatale Auswirkungen auf die kindliche Psyche an, scheint es erstmal tatsächlich so zu sein, dass die "Erziehung-nach-Bauchgefühl"-Mütter mit ihren Argumentationen im Recht sind. Wie ich aber mit diesem Artikel dargestellt habe, bezieht sich unser Bauchgefühl maßgeblich darauf, was wir selbst und die Generationen vor uns an Erziehung erlebt haben und dann muss man sich tatsächlich fragen, ob es so klug ist, die neusten Forschungsergebnisse aus Büchern und wissenschaftlichen Artikeln außen vor zu lassen und sich nur auf sich selbst und die eigene Mutter als Beratungsinstanz zu verlassen. Auch Hebammen und Kinderärzte geben mitunter antiquierte Weisheiten zum Umgang mit Kindern weiter und so kommt es, dass auch im Jahr 2013 noch immer junge Eltern Angst davor haben, ihr Baby "zu verwöhnen" oder sich einen "Tyrannen heranzuziehen", obwohl doch schon seit Jahren bewiesen ist, dass man Babys im ersten Lebensjahr nicht verziehen kann. Unsere Großeltern und Eltern wollten übrigens ebenfalls nur das Beste für ihre eigenen Kinder und haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Sie wollten, wie wir, alles richtig machen im Umgang mit ihrem Baby und haben sich auf die verlassen, die es vermeindlich besser wissen: Kinderärzte, Hebammen, Erzeihungsratgeber. Autorin Chamberlain vermutet hinter den Ratschlägen der NS-Diktatur eine gewollte Störung der Bindung zwischen Mutter und Baby, in der Hoffnung, das erste wirkliche Bindungs- und Dazugehörigkeitsgefühl entstünde in der Hitlerjugend. (vgl. Chamberlain, 2010) und wenn man sich ansieht, welche massiven Störungen diese Art der Erziehung tatsächlich hervorgebracht hat, kann ich ihren Argumenten durchaus folgen.
Ich komme zu dem Schluss, dass es klug ist, weder ausschließlich nach Bauchgefühl, noch nach Ratgeber zu erziehen, sondern in erster Linie immer den gesunden Menschenverstand walten zu lassen und nachzuhaken, wo denn das vermeindlich ungebürliche kindliche Verhalten seinen Ursprung hat und ob es nicht vielleicht aus Sicht des Kindes entwicklungsbiologisch sinnvoll ist, sich so zu benehmen.
In Teil 2 und 3 der Serie "Die Erziehung unserer Großeltern und Eltern" werde ich u.a. auf das Stillen nach Uhr, das Töpfchentraining, das Ordentlich-essen-am-Tisch und "Ist nicht so schlimm" eingehen.
Literatur
Haarer, J., (1973) Die Mutter und ihr erstes Kind, München, Carl Gerber Verlag
Hassenstein (1992): Der menschliche Säugling - Nesthocker oder Tragling
Hilsberg, R. ((1985): Körpergefühl. Die Wurzeln der Kommunikation zwischen Eltern und Kind, Rowohl Tb
Kirkilionis, E. (1999) Ein Baby will getragen sein. Kösel Verlag
Klaus, M.-H., Kennell, J.-H. (1987): Mutter-Kind-Bindung. Über die Folgen einer frühen Trennung- München: dtv
Kübler M.S (1891). Das Buch der Mütter. Leipzig: Abel und Müller
Liedloff, J. (1998): Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. München: Beck'sche Verlagsbuchhandlung
Mann, A. /Schrader A. C.: (1995) Ins Leben tragen . VwB
Renz-Polster, H.: Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt. Kösel Verlag
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Sears, W. (1999): Schlafen und Wachen, Zürich: La lech Liga International
http://www.ferbern.de/fileadmin/documents/pdf/broschuere_babyschlaf.pdf
http://www.ferbern.de/fileadmin/documents/pdf/broschuere_babyschlaf.pdf