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Autonomiephase / Trotzphase - Warum immer ein guter Grund hinter Wutanfällen steckt und wie wir unseren Kindern liebevoll aus einem Trotzanfall heraushelfen können

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"Nein! Nein! Nein!"
Ich weiß noch, dass der erste Wutanfall einer meiner Töchter mich unvorbereitet traf wie ein Schlag aus dem Nichts. Mein Kind war 14 Monate alt, wir hatten im Bio-Laden gerade eingekauft und sie gebärdete "Keks!". Ich gab ihr einen Keks und .... "WUUUUÄÄÄÄÄÄÄHHHHHHHH!!!!!!!". Wie vom Donner gerührt stand ich da und guckte ungläubig auf mein bis dato liebes Kleinkind. Wie jetzt, "Wuäh?". Ich habe dir doch deinen erbetenen "Keks" gegeben? Aber nein, das Kind schrie und stampfte und wurde immer wütender, weil ich nur Bahnhof verstand. Nach langem mühevollen Ausprobieren mehrerer Optionen, bei dem ich im Übrigen tierisch ins Schwitzen und ziemlich in Panik geriet, wurde klar: Das Kind will keinen Keks, das Kind will die gerade eingekaufte Banane! Sie konnte aber Banane noch nicht gebärden. Ach herrjemine, dachte ich, das kann ja lustig werden in den nächsten Monaten!
 
 

Entwicklungsmodell der Stressregulation

 
 
Wenn Kinder größer werden und feststellen, dass ihre Wünsche und Vorlieben nicht immer mit denen ihrer Mitmenschen übereinstimmen und es deshalb vorkommt, dass sie nicht erfüllt werden, werden sie unvermeidlich mit den Gefühlen Wut, Trauer, Enttäuschung und Angst konfrontiert. Es ist wichtig, dass sie lernen, diese Gefühle zu regulieren und zu tolerieren und den dabei entstehenden Stress auszuhalten. Einen Grundstock an Fähigkeiten bringen sie bereits aus dem Mutterleib mit, der Rest ist angenommenes Verhalten und wird maßgeblich durch die Hilfe der Eltern (oder anderer feinfühlig reagierender Personen) erlernt.

Das nun folgende Entwicklungsmodell von Band, Weisz und Koop beschreibt diesen Lernprozess wie folgt (vgl. Band, Weisz, 1988; Koop, 1989):
0 - 3 Monate: Kinder drehen sich von unangenehmen Reizen weg und lutschen am Daumen, um sich selbst zu beruhigen, wenn sie in Stress geraten. Das schaffen sie aber nur bei leicht unangenehmen Reizen, zu starker Stress kann noch nicht selbst reguliert werden. Das bedeutet, Eltern müssen zunächst ihre Kinder unbedingt durch Körperkontakt, möglichst sogar Hautkontakt, fremdregulieren.
Photo-Engel / pixelio.de
3 - 9 Monate: Nun sind unsere Kinder bereits in der Lage, sich an etwas zu erinnern, das sie in der Vergangenheit beruhigt hat. Sie werden leiser und entspannen sich, bevor der antizipierte Reiz ausgeführt wird, da sie das Ergebnis gedanklich bereits vorweg nehmen können. Wenn unsere Töchter sehr, sehr hungrig waren und weinten, hörten sie zum Beispiel sofort auf, sobald ich mich mit ihnen und dem Stillkissen in unseren Stillstuhl setzte. Ich hatte noch nicht einmal meine Brust freigelegt - sie wussten trotzdem schon, dass sie nun gleich stillen durften. Andere Mütter beobachten, dass das Kind zu weinen aufhört und lächelt, sobald sie mit dem Pucksack vor ihm auftauchen. Auch in diesem Alter gilt: Die Kinder sind noch sehr leicht überfordert von Stressoren und benötigen weiterhin stark die Unterstützung der Eltern, um sich zu regulieren, auch hier ist Fremdregulation noch die Haupttechnik.
1 - 4 Jahre: Dies ist der intensivste und wichtigste Abschnitt des Erlernens von Stressbewältigung (Coping). "Primäres Coping" setzt voraus, dass eine Situation bewusst als stressauslösend erkannt wird und beinhaltet eine Abfolge von Handlungen, die auf die Veränderung der äußeren Situation gerichtet sind. Wenn wir zum Beispiel Besuch bekommen - ein Vorkommnis, das eine unserer Töchter unter starken Stress setzt - geht ebendiese Tochter gezielt in ein anderes Zimmer, um dort eine Spieltätigkeit aufzunehmen, bei der andere nicht mitmachen können. Schafft sie es nicht, an der fremden Person vorbeizukommen, wirft sie sich schnellstmöglich in unsere Arme, dreht dem Besucher bewusst den Rücken zu und erstarrt solange in dieser Position, bis dieser wieder geht. In diesem Entwicklungsalter nutzen Kinder gern sogenannte Übergangsobjekte wie Kuscheltiere oder Kuscheldecken, um Stress abzubauen. Leider haben unsere Töchter nie wirklich ihre Liebe zu einem Kuschelobkjekt entdeckt, so dass ihnen diese Stressabbau-Strategie nicht zur Verfügung steht. Zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr haben Wutanfälle ihren Höhepunkt. Sie sind ein Ausdruck primären Copings und ein Versuch, die stressauslösende Situation durch Schreien zu verhindern. Viele Eltern lassen ihre Kinder in diesen Situationen allein wüten, weil sie meinen, dass die Kinder damit selbst fertig werden müssen bzw. können. Das ist jedoch nicht der Fall. Gerade in diesem Alter ist eine feinfühlige Unterstützung bei Wut und Stress, d.h. eine Fremdregulation durch die Eltern, noch sehr wichtig!
4 - 7 Jahre: In diesem Alter entwickelt sich das sekundäre Coping. Sie bezeichnet die Änderung der inneren Situation, d. h. die Fähigkeit, sich an bestehende äußere Umstände anzupassen. Das primäre Coping bleibt allerdings noch einige Zeit die bevorzugte Strategie. Nur in Situaionen, in denen Kinder das Gefühl haben, wenig Kontrolle über die Umstände zu haben, wird das sekundäre Coping eingesetzt, z. B. wenn sie eine Spritze bekommen oder sich an Gepflogenheiten und Regeln im Kindergarten und in der Schule anpassen müssen. Es ist dann so, dass sie z. B. im Kindergarten gut "funktionieren" und dort ohne Murren ihre Sachen selbst anziehen, jegliches Essen probieren und ohne Probleme beim Mittagschlaf einschlafen - also Dinge, die sie bei ihren Eltern zuhause nicht so ohne Weiteres tun. Wenn sie dann abgeholt werden, fallen sie manchmal in den Armen der Eltern in sich zusammen und bewältigen den Sress der stundenlangen Anpassung durch ...na? Genau, einen Wutanfall. Das ist gut und richtig so, unsere Kinder sollten darin von ihren Eltern unterstützt werden. Der bewusste Umgang mit Ärger und Wut stellt eine sekundäre Coping-Strategie dar. Es wird davon ausgegangen, dass unsere Kinder diese erst im Grundschulalter wirklich beherrschen. 

8 - 12 Jahre: Mehr und mehr greifen die Kinder nun auf sekundäres Coping zurück, mit 12 Jahren wird es zur Hauptstrategie. Beim Umgang mit Ärger und Wut dient das laute Denken und das Selbstgespräch der Verhaltenssteuerung. (vgl. Band, Weisz, 1988; Koop, 1989)
 

Neuronale Grundlagen: Wütende Kleinkinder verstehen


Dieter Schütz / pixelio.de
Nach Dr. Harvey Karp, Autor des Buches "Das glücklichste Kleinkind der Welt", dominiert im Gehirn eines Kleinkindes - anders als bei Erwachsenen oder älteren Kindern - die rechte Gehirnhälfte. Diese ist besonders "gut" darin, kreativ und gefühlvoll zu sein, sie lässt das Kind intuitiv und spontan entscheiden, hilft ihm dabei, Gesichter zu erkennen und ist ein Experte für die Entschlüsselung von Bildersprache/Gebärden.
 
Der linken Gehirnhälfte werden Funktionen wie logisches Denken, Sprache und analytisches Denken zugeschrieben, d. h. sie hilft unseren Kindern, beim Sprechen das richtige Wort auszuwählen, sich beim Gummibärchen-Aufteilen für den größeren Anteil zu entscheiden und den Schlüpfer vor der Hose anzuziehen und nicht anders herum. Im Gegensatz zur strukturierten linken Hälfte, ist laut Karp die rechte Seite leicht ablenkbar, impulsiv und emotional - und unsere Kinder somit auch (vgl. Karp, 2010: 30). Tritt nun noch ein Stresserlebnis ein, z. B. wenn ein Erwachsener etwas verbietet, wird die vernünftige, geduldige linke Gehirnhälfte unserer Kinder sogar komplett ausgeschaltet und die rechte Seite trifft alle Entscheidungen und duldet keinen Widerspruch. Das Kind wütet. Es wirft sich auf den Boden, schreit, tritt, spuckt, haut und ist ganz allgemein gesagt völlig außer sich. Wer da mit Worten das Kind erreichen möchte, hat schlechte Karten - die linke Gehirnhälfte ist gerade im Urlaub. Das Kind hört eigentlich nur "Blablablabla, Paul, blablablabla." Kein Wunder, dass unsere üblichen Beruhigungsversuche so destaströs fehlschlagen - sie verstehen uns einfach nicht! Sie können uns nicht verstehen.
 
 

Fremdregulation: Wütende Kleinkinder beruhigen

 
 
Nun ist also die linke Gehirnhälfte so gut wie ausgeschaltet und die rechte Gehirnhälfte wütet und wütet und wütet und die Eltern stehen verloren und unschlüssig vor dem Kind und wissen nicht weiter. Ansprache funktioniert nicht. Anfassen macht alles noch schlimmer. Uns gehen die Optionen aus. Kind allein wüten lassen und abwarten, bis es vorbei ist? Klar, kann man machen, das dauert aber für alle Beteiligten gefühlt ewig und hinterlässt eine völlig verausgabte Familie. Der Vater ist fertig, weil er es nicht ertragen kann, dass es dem Kind so schlecht geht, die Mutter ist erledigt, weil das Geschrei in ihr negative Gefühle ihrer eigenen Kindheit getriggert hat, das Kind ist durchgeschwitzt und emotional am Ende, weil es gerade von den heftigsten Gefühlen aller Zeiten geschüttelt wurde. Das kann doch nicht die Lösung sein? Hier kommt die wirklich spektakuläre Fähigkeit der rechten Gehirnhälfte ins Spiel, die uns in solchen Wutmomenten im wahrsten Sinne des Wortes viel Leid erspart: sie kann nach Karp nonverbale Kommunikation ganz wunderbar entschlüsseln. Mimik, Gestik, Tonfall, all das kommt im Gehirn auch während eines Wutanfalls an! Heureka! (vgl. Karp, 2010: 31).
Wenn man also mithilfe von Stimme und Körpersprache das aufgebrachte Kleinkind anspricht und seine Gefühle wiederspiegelt, kann man ihm helfen, sich schnell zu beruhigen (vgl. ebd., 2010: 32). Das klingt jetzt erstmal seltsam, klappt aber wirklich ganz hervorragend bei allen Kindern, bei denen ich es bisher ausprobiert habe. Ich muss sagen, je jünger man damit beginnt (ab 12 Monate), desto einfacher wird es natürlich in der Hochzeit der "Trotzphase". Aber auch, wenn das Kind jetzt schon 2 oder 3 Jahre alt ist, kann man noch damit beginnen. Dann werden die Erfolge erstmal nicht so schnell eintreten, aber sie werden kommen.
 

1. Schritt: Respektvoll Kontakt aufnehmen

 
Der Schlüssel zur Kommunikation mit aufgebrachten Kleinkindern ist nach Dr. Karp die respektvolle Kontaktaufnahme. Er nennt das die "Fast-Food-Regel" (vgl. ebd., 2010: 69). Es ist klar, dass dabei der Aufgebrachtere zuerst spricht - im Falle unserer Kinder hört sich das dann etwa so an: "WWWUUUÄÄÄÄHHH!!!! NEIN! NEIN! AAAARRRGGGGGHH. GGGGRRRAAAHHHH. WWWUUUÄÄÄÄHH!"

Der andere hört zu und wiederholt zunächst, was der Aufgeregte sagt. Dabei ist weniger wichtig, was man sagt, sondern wie man es sagt (man muss ja damit die rechte, nicht die linke Gehirnhälfte ansprechen). Die Mutter spiegelt also mit etwas aufgeregter Stimme und empathischer Mimik und Gestik: "Du bist wütend! Wütend! Du sagst: "Nein! Nein! Nein!" Der wirklich alles entscheidende Punkt dabei ist, den richtigen emotionalen Ton zu treffen. Man darf die kindliche Emotion in Stimme und Körpersprache nicht zu stark wiederspiegeln oder gar lächerlich überziehen - dann fühlt es sich unverstanden und nicht ernst genommen. Man darf aber auch nicht angenervt oder nur halbherzig spiegeln so nach dem Motto "Jaaaa, schon klar, du bist wütend, hab ich verstanden...". Sagen wir, das Kind brüllt mit 100%er Stärke "Wuäh! Nein!", dann sollten die Eltern ungefähr mit 30%-50% spiegeln "Du bist wütend! So wütend! Du sagst Nein!" und - ganz wichtig - die Gefühle des Kindes eben auch durch Mimik und Gestik und kindlich aufgeregter Stimmlage wiedergeben (vgl. ebd., 2010: 70ff).
 
Das, was ich an dieser "Fastfood-Regel" so angenehm finde ist, dass ich meinem Kind nicht nur mit Liebe, sondern vor allem mit Respekt begegne. Ich respektiere seine Gefühle, denn sie haben immer einen für das Kind guten Grund und ich zeige meinem Kind durch das Spiegeln, dass ich verstanden habe, wie es sich fühlt und das es okay ist, sich so zu fühlen. Das bedeutet nicht, dass ich ihm keine Grenzen setze. Es bedeutet nur, dass ich ihm sage, dass alle Gefühle richtig und wichtig sind und dass ich ein offenes Ohr für seine Emotionen habe (vgl. ebd., 2010: 88f). Im Übrigens ist das keine radikal neue Idee, sondern einfach eine Abwandlung von aktivem Zuhören und gewaltfeier Kommunikation auf dem Niveau von Kleinkindern.

Es ist gar nicht so schwer, respektvoll Kontakt aufzunehmen, wenn man im Hinterkopf behält, dass die linke Gehirnhälfte momentan außer Betrieb ist. Drei Punkte sollten wir dabei beachten:
  1. Gefühle wiederspiegeln: Wir sollten leiser als das Kind sprechen, aber mit der Stimme ungefähr den selben emotionalen Level der Aufgebrachtheit anstreben. Das Kind ist wütend, also sollten wir etwas von der Frustration, der Wut und Angst in unsere Stimme, unserem Gesicht und der Körpersprache übernehmen (daher der Begriff "Spiegeln"). Es ist wichtig, dabei wirklich ausdrucksstark zu sein, damit unsere Botschaft ankommt. Die Augenbrauen heben, die Augen aufreißen, die Stirn runzeln, den Kopf schütteln, mit den Achseln zucken, mit den Füßen aufstampfen, mit den Armen fuchteln - all das ist wichtig (vgl. ebd, 2010: 108f)! Auf keinen Fall jedoch sollte sich so über das Kind lustig gemacht werden, es also nachgeäfft werden. Das Spiegeln ist eine aufrichtige, liebevolle Methode und dient nicht dazu, den Wutanfall ins Lächerliche zu ziehen. Und nochmal: unsere Spiegelung ist in ihrer Intensität geringer, als die Emotion des Kindes
  2. Kurze Sätze: Statt "Ja, Paul, ich weiß, dass du vor dem Hund Angst hattest, aber er ist ja nun weg." sollten wir versuchen, mit prägnanten Schlagworten vorzudringen: "Angst! Angst! Großer Hund! Weg, sagst du, weg! Weg!"
  3. Wiederholungen: Damit die Worte im wütenden Gehirn überhaupt ankommen, müssen sie oft wiederholt werden. Bei leichten oder anfänglichen Trotzreaktionen genügen 1 - 2 mal. Hat sich das Kind bereits so richtig in Rage geschrien, kann es sein, dass man die Gefühle 6 - 8 Mal spiegeln muss, bevor das Kind sich einem zuwendet und fragend guckt: "Moment mal, redest du mit mir?" (vgl. ebd., 2010: 107).

Es ist kaum zu glauben, aber schon nach dieser einfachen Maßnahme des respektvollen Kontakaufnehmens durch Spiegeln der Gefühle beruhigen sich die meisten Kinder soweit, dass man sie wieder normal ansprechen kann. Das heißt zwar nicht, dass der Wutanfall schon ausgestanden ist, aber immerhin hat man jetzt eine Basis auf der man mit dem Kind normal verbal in Kontakt treten kann. Das Kind liegt nicht mehr schreiend und strampelnd auf dem Boden, sondern guckt die Eltern erwartungsvoll an, als wolle es sagen: "Okay, ihr habt mein Problem erkannt. Was machen wir nun?"

2. Schritt: Elterliche Botschaft "....., aber...."


Nun da unsere Kleinkinder ihr Problem ausgedrückt und sich durch das Verstanden fühlen halbwegs beruhigt haben, sind wir mit unserer Botschaft an der Reihe. Der Sturm der Gefühle hat sich ein wenig gelegt, die linke Gehirnhälfte nimmt ihre Arbeit wieder auf und wir können anfangen, in normaler Sprache zu erklären, warum jetzt gerade nicht geht, was das Kind gerne möchte. "Du möchtest so gerne noch weiterspielen, aber wir müssen nun los zum Kindergarten. Ich komme sonst zu spät zur Arbeit."
Natürlich wird das "berühmte elterliche >Aber<" (Karp, 2010: 86) von unseren Kindern nicht mit Freude aufgenommen. Das seelische Gleichgewicht ist immernoch fragil, es kann sein, dass der Wutanfall in diesem Augenblick nochmal aufflammt. Er ist aber in der Regel schwächer. Wir sollten ihm noch einmal mit dem respektvollen Spiegeln der Emotionen ("Fast-Food-Regel") begegnen, so, wie wir es gerade schon gemacht haben. Wenn das Kind dann wieder ruhiger wird, bieten wir ihm einen Kompromiss an.
 

3. Schritt: Lösung des Problems anbieten

 
Ich persönlich finde diesen Punkt den schwierigsten, denn nicht immer fällt mir so auf die Schnelle ein, wie mein Kind und ich beide als Gewinner aus dem Konflikt herausgehen können. Ich suche einen win-win Kompromiss oder biete Wahlmöglichkeiten an. "Du möchtest so gern noch weiterspielen, aber wir müssen los. Du kannst deine Puppe im Rucksack mitnehmen und sie wartet dann in der Kindergarten-Garderobe auf dich". "Du möchtest so gerne noch weiterrutschen, aber der Papa wartet mit dem Abendbrot auf uns. Möchtest du noch einmal oder zweimal rutschen, bevor wir gehen?" "Du willst so gern die Gummistiefel anziehen, aber draußen ist es soooo heiß. Pass auf, du kannst die Gummistiefel anziehen und wir nehmen deine Sandalen mit und tauschen sie später".

Manchmal, wenn etwas wirklich überhaupt nicht geht, erfülle ich den Wunsch in der Fantasie (vgl. Karp, 2010: 85): "Du möchtest sooo gern jetzt ein Kugeleis essen, aber es ist Winter draußen und der Laden hat zu. Ich wünschte, ich könnte all den Schnee wegpusten. Das wäre schön! Ich würde die Sonne hinter den Wolken hervorholen und es warm werden lassen. Dann könnten wir ein Eis essen. Ich freue mich schon wirklich auf den Sommer, wenn der Laden wieder offen ist. Wollen wir dann ein Schoko- oder ein Erdbeereis essen?" Erstaunlicherweise klappt das sehr gut und lenkt die Aufmerksamkeit meiner Töchter auch in heiklen Situationen (Quengelware beim Einkaufen) gut um. Die Bedürfnisbefriedigung in der Fantasie hat auch den Vorteil, dass sie Geduld und eine aufgeschobene Bedürfnisbefriedigung lehrt.
 

Wenn das Beruhigen nicht funktioniert

Hilde Vogtländer / pixelio.de

Die Methode ist natürlich nicht unfehlbar. Nicht immer zu jeder Zeit und bei jedem Kind kann man sie anwenden. Sie hilft nicht in allen Situationen gleich gut und manchmal hilft sie gar nicht. Aber - es schadet auch nicht, sie auszuprobieren. Man hat eigentlich nichts zu verlieren. Entweder es klappt und das Kind beruhigt sich oder es klappt nicht und man ist in der gleichen Situation wie vorher. Natürlich ist es, nunja, sagen wir, gewöhnungsbedürftig, als Erwachsener im Einkaufszentrum in Kleinkindsprache mit einem sich wütend auf dem Boden wälzenden Kind zu reden. Ist mir das unangenehm? Klar. Mir ist aber auch unangenehm, wenn mein lautes Kind so viel Aufmerksamkeit in dem Laden auf sich zieht. Die Blicke der anderen, das Kopfschütteln, das gemurmelte "Früher hätte es das nicht gegeben..."- ist mir furchtbar unangenehm. Wenn ich das Szenario also abkürzen kann, ohne das wild um sich schlagende Kind unter dem Arm geklemmt aus dem Laden tragen zu müssen, dann mache ich das!

Manchmal klappt es aber einfach nicht. Woran kann das liegen?

 

Zu viel oder zu wenig gespiegelt

 
Es kommt beim Spiegeln wirklich vornehmlich darauf an, den richtigen Ton zu finden, also die richtige Intensität der Wut auszudrücken. Lebhafte Kinder sind gefühlsbetonter, deshalb brauchen sie vielleicht 50% Spiegelung. Schüchterne Kinder wiederum könnten sich durch eine solch intensive Spiegelung unwohl fühlen, bei ihnen muss man als Elternteil viel "tiefer" ansetzen, vielleicht bei 30%. Auch bei älteren Kindern sollte das Spiegeln weniger theatralisch ausfallen, damit sie nicht das Gefühl haben, wir machen uns über sie lustig (vgl. ebd., 2010, 110f). Wenn das Spiegeln also nicht klappt, sollte man als Eltern zunächst versuchen, die Intensität zu variieren - vielleicht klappt es dann.

 

In die falsche Richtung gespiegelt

 
Wenn man als Elternteil spiegelt: "Du bist wütend! Wütend! Du sagst: Keks, Mama, Keks! Keks!" und das Kind beruhigt sich nicht, sondern heult eher noch stärker auf und wütet mehr, hat man vermutlich den Grund für die Wut des Kindes nicht richtig verstanden und das Kind versucht einem das durch noch stärkeres Weinen mitzuteilen. Dann muss man schnell umdenken und überlegen, was es stattdessen sein könnte. Dieser Punkt ist, finde ich, nicht immer leicht zu erreichen, denn manchmal ist es für einen Erwachsenen einfach nicht nachvollziehbar, warum ein Kind nun weint. Es scheint, es wütet ohne Grund. Ich habe aber festgestellt, dass man "Ohne-Grund-Wüten" sehr wohl entschlüsseln kann, allerdings muss man sein Kind gut kennen. Gründe könnten sein:
  • Kind will etwas alleine machen und ist wütend darüber, dass Mama oder Papa es ihm abnehmen wollen
  • Kind will etwas Bestimmtes haben und Mama versteht nicht, was genau, weil das Kind sich noch nicht gut genug ausdrücken kann
  • Kind will etwas Bestimmtes nicht tun, aber die Eltern sagen, es soll das tun
  • Kind will etwas selber machen, aber es klappt nicht so, wie es möchte
  • Kind hat etwas in der Hand und es geht aus Versehen kaputt
  • Kind denkt, die Mutter will ihm etwas Bestimmtes nicht geben und weint schon los, bevor sie überhaupt darüber geredet haben (das sind die besonders kniffligen Fälle)
  • Kind denkt, die Eltern machen mit Absicht etwas falsch/anders, als es das möchte
Ich denke, jede Mutter kennt solche Situationen, aber ich möchte trotzdem noch zwei Beispiele geben. Das erste Beispiel bezieht sich auf den letzten Punkt: Das Kind denkt, die Eltern machen mit Absicht etwas falsch. Als meine Töchter ca. 16 Monate alt waren, lag viel Schnee und wir fuhren mit dem Schlitten aus. Eine Tochter wollte irgendwie auf spezielle Art auf dem Schlitten sitzen, ich konnte aber nicht herausfinden, wie genau. Ich probierte alle möglichen Positionen, aber sie wurde immer noch wütender mit mir. Das Problem: Da sie selbst noch keinen Perspektivenwechsel einnehmen konnte, kam ihr nicht in den Sinn, dass ich nicht wissen könnte, was genau sie meint. In ihrem Kopf war ja die Sitzposition ganz klar aufgezeigt! Dass ich nicht in ihren Kopf reingucken konnte, bzw. wir nicht die exakt selben Gedanken haben, konnte sie in ihrem Alter natürlich nicht nachvollziehen. Natürlich wurde sie deshalb sauer mit mir - in ihren Augen benahm ich mich absichtlich unkooperativ, ich enthielt ihr in ihren Augen die richtige Sitzhaltung vor.
 
constanze wilking / pixelio.de
Das zweite Beispiel bezieht sich auf den zweiten und den vorletzten Punkt: Das Kind kann sich nicht gut genug ausdrücken und das Kind denkt, die Mutter will ihr etwas Bestimmtes nicht geben und weint schon los, bevor es das Bedürfnis nach diesem Gegenstand überhaupt geäußert hat. Meine Töchter haben spezielle kleine Glasbecher zum Safttrinken. Einer Tochter war dieser Glasbecher am Vortag heruntergefallen, deshalb hatte ich, um gerecht zu sein, zum Abendbrot zwei andere identische Gläser herausgesucht, die jedoch ein bisschen kleiner waren. Als ich nun mit den Gläsern zum Tisch kam, fing die Tochter, deren Originalglas eigentlich noch ganz war, wütend an zu rufen: "Mehr, mehr!" Ich sagte: "Puppe, das Glas ist doch randvoll? Ich kann da gar nichts mehr eingießen." Sie wurde immer aufgeregter, zappelte herum und rief weiterhin: "Nein, nein, mehr!" (Man beachte hier: Sie war 24 Monate alt und konnte eigentlich schon in ganzen Sätzen sprechen. Durch ihre innerliche Aufgewühltheit kamen aber nur noch Wortbrocken raus und sie konnte ihr "mehr" auch nicht durch ein anderes Wort, das vielleicht besser erklärt hätte, ersetzen. Ihre linke Gehirnhälfte war schon blockiert.) Ich antwortete: "Du kannst mehr Saft haben, aber trink doch erstmal diesen hier aus!" In diesem Moment fing sie fürchterlich an zu weinen und ich konnte absehen, dass das in einem Wutanfall enden würde. Also fing ich an zu spiegeln, erstmal ins Blaue hinein, denn ich wusste wirklich nicht, was sie von mir will: "Du willst mehr! Mehr! Du sagst.... (an dieser Stelle hatte ich einen Geistesblitz) ....anderes Glas! Größeres Glas! Du willst dein anderes Glas haben!" Sofort zeigte sich Erleichterung, verstanden zu werden, auf dem Gesicht meiner Tochter und sie antwortete: "Ja, anneres Glas." Sie wollte ihr Originalglas haben - verständlich, oder? Nur weil ich es fair finde, dass beide Kinder die gleichen Gläser haben, ist das in den Augen meiner Töchter nicht ebenso.
 

Kind ist zu müde

 
Eigentlich der Klassiker: wenn ein Kind zu müde ist, ist es nichts und niemandem mehr zugänglich. Dann kann man verstehen wollen, wie man will und spiegeln, bis einem die Zunge abfällt, das Kind wird trotzdem weiterwüten. Hier gibts nur eine Lösung: Ab ins Bettchen und mit Mama oder Papa einschlafkuscheln.
 

Einer dieser Tage

 
Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Kinder weiterhin Entwicklungssprünge haben, auch, wenn sie aus den Schüben, die in "Oje ich wachse" aufgelistet werden, herausgewachsen sind. Man kann im Alltag gut erkennen, dass Kinder eine schwierige Phase um den 2. und 3. und 4. Geburtstag herum haben, ebenso mit 2,5, 3,5 und 4,5. Leider hat sich noch kein Wissenschaftler die Mühe gemacht, darüber ein Buch zu schreiben.

Mir ist bei meinen Töchtern außerdem aufgefallen, dass es immermal einen Tag gibt, an dem sie von morgens bis abends in sogenannten Wut-Ketten gefangen sind. Solche Tage erkennt man gut daran, dass das Kind nicht wie gewöhnt glücklich plappernd aufwacht, sondern schon auf das Wecken mit Jammern und Maulen reagiert. Dann gibt es beim Zähneputzen schon den ersten Wutanfall, weil die Zahnpasta falsch aus der Tube gekommen ist, die Lieblingsstrumpfhose ist heute ganz schrecklich und möchte auf gar keinen Fall angezogen werden, beim Frühstück gibt es einen Nervenzusammenbruch, weil die Milch weiß ist und das geht immer so weiter. Hat man das Kind aus einer Krise erfolgreich herausgebracht und es scheint halbwegs stabil, kündigt sich schon der nächste Wutanfall wegen einer Nichtigkeit an. Solche Tage sind ganz, ganz schwer auszuhalten für die Eltern - sicher fühlen sich auch die Kinder darin nicht besonders wohl. Ich habe das letzte halbe Jahr mal mitgeschrieben, wann "diese Tage" bei meinen Töchtern auftreten und überraschenderweise ist das relativ gut vorhersehbar einmal alle vier Wochen. Ich vermute, dass das Gehirn sich an solchen Tagen irgendwie neu vernetzt oder, wie bei einem Computer, eine Säuberung der Festplatte vonstatten geht und sich unsere Kinder daher an diesem Tag so fühlen, wie unsere Babys in den Sprungzeiten: seltsam. An "einem dieser Tage" kann man eigentlich nichts weiter tun, als das Kind liebevoll begleiten, auch, wenn es schwer fällt. Das Gute daran: morgen ist es vorbei.
 
 

Selbstregulation: Kindern Stressregulations-Techniken beibringen

 
 
Wie ich am Beginn meiner Ausführungen bereits erwähnte, werden Kinder immer wieder mit Stresssituationen konfrontiert werden. Es ist daher unabdingbar, dass sie Techniken lernen, um ihre Gefühle in unangenehmen Situationen zu regulieren, denn in Kindergarten, Schule oder im Arbeitsalltag ist es wenig förderlich, bei Kleinigkeiten förmlich zu explodieren. Solche Techniken zu erlernen bedeutet jedoch nicht, diese Gefühle zu unterdrücken!
 
Das Gefühl der Wut hat nach Cierpka durchaus kontruktive Seiten. Es ist ein wichtiges Signal an andere, dass man sich gerade gedemütigt, gekränkt oder unangemessen von anderen "beherrscht" fühlt. Ganz automatisch hält man den Gegenüber durch einen Wutausbruch auf Abstand - man strahlt Gefahr aus (vgl. Cierpka, 2005: 88f). Daher ist gerade in der Ablösungsphase (veraltet auch "Trotzphase" genannt) wichtig, dass unsere Kinder ihre Wut über unsere Regeln und Grenzen ausdrücken dürfen. Sie sollen und müssen sich von uns abgrenzen und lösen, gleichzeitig aber auch lernen, dass unterschiedliche Bedürfnisse in einem Konflikt von allen beteiligten Personen besprochen werden sollten, um eine für alle annehmbare Lösung zu finden. Sie müssen auch lernen, dass es manchmal eben nicht anders geht, als sich der Situation und dem "Nein" zu fügen. Dass das ein schwieriger Balanceakt ist, brauche ich sicher nicht erwähnen.
1 - 2 Jahre: Das Kind kann lernen, bei Wut mit dem Fuß aufzustampfen, den Kopf zu schütteln und laut "Nein!" zu sagen. Auch wenn das anstregend für uns Eltern ist - das alles sind Entspannungstechniken bei Wut, die dem Kind dabei helfen, sich selbst zu beruhigen. Auch lautes Schreien gehört dazu. Da ich es selbst sehr unangenehm finde, wenn meine Töchter laut schreien, habe ich ihnen beigegracht, dies in ihre Armbeuge oder in ein Wutkissen zu tun. Der Stoff des Pullovers oder des Kissens dämpft die Lautstärke zuverlässig. Das Buch "Wenn kleine Tiere wütend sind" war übrigens sehr hilfreich in diesem Alter - es zeigt verschiedene Möglichkeiten auf, wie jemand seine Wut auf sichere Art und Weise loswerden kann.
2 - 4 Jahre: Neben den oben genannten Techniken können unsere Kinder nun lernen, Gefühle bei sich selbst und anderen zu identifizieren. Ich habe das in dem Empathie-Blogeintrag schon näher erklärt. Wenn das Kind also gut gelaunt ist, kann man mit ihm Gesichtsausdrücke vor dem Spiegel üben. Wie siehst du aus, wenn du zornig bist? Zeig mir dein ängstliches Gesicht! Siehst du, wie groß deine Augen werden, wenn du dich freust?
 
Hat das Kind Freude daran, kann man Fotos von verschiedenen Gesichtsausdrücken machen und ein Gefühle-Buch erstellen oder ein Gefühle-Memory basteln. Wichtig ist, nach Wut-, Angst- oder anderen Gefühlsausbrüchen darüber zu reden, wie sich das Kind im Inneren angefühlt hat. Meine Töchter wippten neulich auf dem Spielplatz, als eine von beiden laut lachend rief: "Mein Bauch tut so weh!" Ich war etwas irritiert, weil sie nicht so aussah, als hätte sie Schmerzen, sie war sichtlich vergnügt auf der Wippe. Also fragte ich nach: "Kribbelt es in deinem Bauch?" - "Ja!" - "Ja, das ist ein schönes Gefühl, oder? Dieses Kribbeln entsteht beim Wippen und fühlt sich gut an". "Ja, es kribbelt schön!" Meine Tochter hatte einfach noch nicht gewusst, wie sie dieses schöne Gefühl im Bauch in Worte fassen sollte. Doch je mehr Wortschatz wir unseren Kindern zur Verfügung stellen, desto besser lassen sich Gefühle einordnen und - ja - beherrschen.
Laut Karp kann man bereits ab 2 Jahren mit Atemübungen zur Selbstberuhigung beginnen, er nennt diese "Zauberatem" (vgl. Karp, 2010: 172 ff). Ich habe es versucht, muss aber sagen, dass ich bisher grandios gescheitert bin. Das kann aber daran liegen, dass ich selbst kein gutes Vorbild bin. Ich denke, dass Mütter, die selbst Yoga oder Pilates machen, hier viel mehr Erfolg haben werden, als ich. Dennoch gebe ich nicht auf - ich werde jetzt, da meine Töchter fast 3 sind, wieder mit dem Zauberatem beginnen.
Man setzt sich dabei als Mama bequem auf den Boden oder auf einen Stuhl, Hände im Schoß, Schultern entspannt hängen lassen, gerader Rücken. Dann atmet man langsam durch die Nase ein, zählt dabei im Kopf bis fünf, und atmet mit einem zischenden Geräusch durch den Mund aus (dabei auch wieder bis fünf zählen). Beim Einatmen nimmt man die Hände aus dem Schoß und hebt sie gemächlich nach oben, beim Ausatmen lässt man sie wieder sinken. Wird das Kind neugierig und möchte mitmachen, kann man es einladen, mitzuatmen. Dabei wird die Handbewegung der Mutter wichtiger, denn gehen die Hände nach oben, atmet das Kind ein (auch durch den Mund, wenn es es anders nicht schafft), sinken sie nach unten, atmet das Kind aus. Zunächst gibt man also den Atemrhythmus vor, schnell lernt das Kind aber, diese Technik selbst einzusetzen (vgl. ebd., 2010: 173f).

Ich persönlich bin ganz begeistert von einer Wut-Technik namens "Schieben", das ich in dem Buch "Interaktionsspiele für Kinder Teil 2" (siehe Bild) entdeckt habe. Eine meiner Töchter war einmal so wütend mit mir, dass sie mich hauen wollte, an meinem Pullover zerrte und versuchte, mich wegzuschubsen. Sie war ganz und gar außer sich vor Wut, sie war wütend mit mir. Ich ließ sie ein wenig wüten und mir zeigen, dass sie mit meiner Entscheidung nicht einverstanden war. Als sie anfing, mich wegzuschubsen, sagte ich freundlich: "Oh, du willst mich wohl schieben? Ja, das ist eine gute Idee! Komm, nimm meine Hände und schiebe mich weg so fest du kannst!" Sie nahm mein Angebot ein wenig verwirrt an und da sie weiterhin wütend war, schob sie mit aller Kraft. Ich kommentierte das mit: "Oh, du bist ja sehr wütend! Du schiebst wirklich doll." Sie schob eine Minute und wurde zusehens ruhiger. Nicht nur, dass ihre Kräfte nachließen, meine Worte drangen zu ihr durch, sie konnte hören, dass ich verstanden hatte, dass sie gerade sehr, sehr wütend mit mir war. Als sie mit dem Schieben aufhörte, konnte ich sie gleich in den Arm nehmen und ausgiebig bekuscheln.
Beim Schieben stehen sich die zwei Kontrahenten also gegenüber und fassen sich an den Händen an. Ein Schiedsrichter gibt normalerweise den Startschuss, beide Kinder (oder der Erwachsene und das Kind) dürfen nun so stark schieben, wie sie können. Sie sollen durch die Intensität des Schiebens ihre Wut ausdrücken. Dabei darf aber nichts anderes als geschoben werden. Kein Hauen, kein Stoßen, kein Treten. Es soll auch vermieden werden, dass einer der beiden wirklich weggeschoben wird. Das Schieben geschieht nur an einer Stelle im Raum. Schieben ist ein sicheres Spiel, und sollte wirklich nur nach den Regeln angewandt werden. Nach ein bis zwei Minuten ist Schiebestopp, nach dieser Zeit müsste die größte Wut aus dem Körper heraus sein. Dann können die beiden Streithähne miteinander sprechen. Wie habe ich mich beim Schieben gefühlt? Geht es mir jetzt besser? Fühle ich mich erleichtert? Warum war ich wütend? Was kann ich beim nächsten mal anders machen? etc. (vgl. Vopel, 2008, 53ff)

Ich werde von Müttern, denen ich das Schieben ans Herz lege, übrigens immer seltsam angeguckt: "Das ist nichts für uns..." Ich weiß, dass es sich erstmal komisch anhört. Aber ich praktiziere das Spiel nun schon seit Jahren erfolgreich an der Grundschule und es trägt wirklich immer dazu bei, dass sich die Wogen zwischen den streitenden Parteien ersteinmal soweit glätten, dass hinterher darüber geredet werden kann. Insofern: Probiert es ruhig mal aus.
ab 5 Jahren: Wie ich oben schon ausführte, entwickelt sich ab diesem Alter die sekundäre Coping-Strategie im Umgang mit Ärger und Wut (vgl. Band & Weisz, 1988, Koop, 1989). Das nun folgende Konzept des Ärger-Managements versucht, den spiralförmigen Kreislauf von Ärgereskalation zu unterbrechen. Ärgereskalation meint hier: Wenn ein Kind eine Stressituation erlebt und physisch erregt wird (heiß, angespannt, erhöhte Herzfrequenz) und sich innerlich immer stärker darauf konzentriert ("Das macht mich so wütend! Der ist so blöd! Dem werde ich es zeigen!") führt das zu noch stärkerer Erregung und die Wut wird größer (vgl. Novaco, 1979). Dass das nicht nur Kindern so geht, kann man übrigens prima in Paul Watzlawicks Buch "Anleitung zum Unglücklichsein" in der Geschichte mit dem Hammernachlesen. Durch lautes Denken und positive Selbstgespräche soll dieses Erregungsmuster durchbrochen werden. Das passiert in vier Schritten:

1. Beobachte: Wie fühlt sich dein Körper an?
2. Beruhige dich selbst: Hole dreimal tief Luft./ Zähle langsam rückwärts. / Denke an etwas Schönes. / Sage: "Beruhige dich!" zu dir selbst.
3. Denke laut über die Lösung des Problems nach.
4. Denke später noch einmal darüber nach: Warum hast du dich geärgert? Was hast du dann gemacht? Was hat funktioniert? Was hat nicht funktioniert? Was würdest du beim nächsten Mal anders machen?
Vor allem, wenn das Kind immer wiederkehrende Konflikte hat, bietet es sich an, diese in Rollenspielen mit ihm nachzuspielen und es durch die Fragen (Was hat funktioniert, was nicht? Was würde ich anders machen?) auf neue Verhaltensmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Können Kinder das in sicherem Rahmen üben, fällt es ihnen leichter, aus destruktiven Spiralen auszusteigen und Konflikte anders zu lösen bzw. mit stressigen Situationen anders umzugehen. Das muss natürlich immer altersadäquat geschehen (bitte das Kind nicht überfordern!)

 

Fazit


 
Der Auslöser jedes Wutanfalls - sei es der eines Kleinkindes, eines Schulkindes oder auch eines Erwachsenen - ist ein Bedürfnis, das nicht erfüllt ist. So kann Wut für uns sehr wertvoll sein, da sie uns zeigt, dass wir die Grenze unseres Gegenübers nicht wahrgenommen haben. Wir sollten uns daher (wenn wir dazu gerade in der Lage sind) bei jedem Wutanfall unserer Kinder zunächst einmal zurücknehmen und überlegen, was gerade schief läuft und ob es sich mit einfachen Mitteln beheben lässt. Das bedeutet ganz und gar nicht, unseren Kindern keine Grenzen aufzuzeigen. Es bedeutet auch nicht, in lebensgefährlichen Situationen eine Diskussion darüber anzufangen, ob das Kind jetzt selbstbestimmt auf die Straße laufen darf. Es bedeutet einfach nur, die oftmals berechtigten (wütenden) Gefühle des anderen anzuerkennen und auszuhalten und ihm dann im richtigen Augenblick eine Hand anzubieten, um aus dem Wutanfall herauszufinden.



 
 

Literatur

 
 
Band, E.B. & Weisz, J. R. (1988). "How to feel better when it feels bad: Children's persepectives on coping with everyday stress. ", Developmental Psychology, 24, S. 247 - 253
Karp, H. (2010), "Das glücklichste Kleinkind der Welt. Wie Sie Ihr Kind liebevoll durch die Trotzphase begleiten.", Goldmann Verlag, München
Koop, C. B. (1989), "Regulation of distress an negative emotions: A developmental view." Developmenteal Psychology, 25, S. 343 - 354
Novaco, R. W. (1979), "The cognitive regulation of anger and stress." In: P.C. Kendall & S. P. Hallon (Eds.), "Cognitive-behavioral interventions." Orlando: Academic Press
Vopel. K. W. (2008), "Interaktionsspiele für Kinder Teil 2", Iskopress, Salzhausen

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