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Probleme mit der Beikost - Warum manche Babys husten, würgen und erbrechen, wenn sie Brei essen und was man als Eltern dagegen tun kann

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Beikosteinführung
Wie wir in unserem Beikost-Artikel schon beschrieben haben, ist es für uns Eltern meist ein großer Moment, wenn das erste Löffelchen Brei im Mund unseres Kindes verschwindet. Nicht selten jedoch gibt es bei der Einführung von Brei & Co Probleme. Das Baby macht zum Beispiel den Mund nicht auf oder es drückt den Brei mit der Zunge postwendend wieder heraus. Es kann passieren, dass es sich verschluckt oder mit Würgereiz auf den Brei oder kleine Stückchen im Brei reagiert.

Woran kann das liegen? Wie sollen Eltern darauf reagieren?
 
 

Anatomische Voraussetzungen für den Beikostbeginn

 
 
In den ersten Monaten seines Lebens ist der Mund eines Säuglings ausgefüllt mit Zunge und Saugpolstern der Wangen - es ist dem Kind in dieser Zeit schlicht körperlich unmöglich, Beikost zu sich zu nehmen. Die anatomischen Voraussetzungen fehlen noch. Bis zum dritten bis vierten Monat ist die Saugreaktion vorherrschend und Kiefer- und Zungenbewegung finden gleichzeitig statt. Erst ab diesem Zeitpunkt geht die unbewusste Saugreaktion in ein willentlich gesteuertes Saugen über (vgl. Arvedson/Brodsky, 2002; Morris/Klein; 2001). Erkennbar ist dieser Übergang meist an einer kurzzeitigen Stillkrise, die etwa im vierten Monat stattfindet.
 
Ab dem vierten Monat beginnen unsere Kinder vermehrt, die eigenen Hände zum Mund zu bringen und darauf herumzulutschen. Auch Spielzeug wird ab diesem Alter zum Mund geführt und oral untersucht. Durch diese regelmäßigen Reize verlagert sich die sogenannte Würgereaktion, die nach der Geburt und die ersten Monate an den Lippen lokalisiert ist, immer weiter nach hinten in den Mundraum und macht so eine Gabe von Brei durch den Löffel erst möglich. Kinder, die wenig an ihren Händen oder Spielzeug lutschen, haben meist große Schwiergkeiten, den Löffel im Mund zu tolerieren, da bei ihnen der Würgereiz durch die fehlende Desensibilisierung weiterhin zu weit vorn lokalisiert ist und deshalb sehr schnell ausgelöst wird (Van den Engl-Hoek, 2008). Auch Babys, die würgen müssen, wenn ihnen ein Nuckel in den Mund gesteckt wird, sind aus den selben Gründen einfach noch nicht so weit. Hier heißt es für die Eltern schlicht und ergreifend: abwarten und das Kind dazu ermuntern, immer wieder Dinge in den Mund zu stecken und mit der Zunge zu untersuchen. Bei uns Erwachsenen ist der Würgereiz übrigens ganz am Ende des Rachens lokalisiert, so dass wir uns den Finger schon sehr weit in den Mund stecken müssen, um ihn auszulösen.
Zungenstreckreflex
Nach und nach werden die Saugpolster nun kleiner und der Raum in der Mundhöhle nimmt zu. Mit ca. sechs Monaten sind unsere Kinder so weit entwickelt, dass sich Zunge, Kiefer und Lippen  unabhängig voneinander bewegen können (vgl. Arvedson/Brodsky, 2002; Morris/Klein; 2001). Um den siebten Monat herum drehen sich die meisten Kinder vom Bauch auf den Rücken. Diese Drehbewegung findet sich in den Zungenbewegungen wieder (vgl. Biber, 2012; Morris/Klein, 2001; Bledau-Greiffendorf 2001). Zu diesem Zeitpunkt wird auch die Zungenprotrusion (das Vor- und Rückbewegen der Zunge mit gleichzeitigem Rausschieben des Essens) abgebaut - die physiologischen Voraussetzungen für die Einführung von Beikost sind gegeben.
 
 

Probleme bei der Einführung von Beikost

 
 
Die Bewegungsmuster, die für einen Transport des Breis nötig sind, unterscheiden sich entschieden von denen des Milchtrinkens und müssen daher erst nach und nach erlernt werden. Vielen Kindern gelingt dies problemlos, bei anderen jedoch zeigen sich anhaltende Schwierigkeiten beim Essen vom Löffel.

 

Mund bleibt zu


J. Hill: Mund bleibt zu
Lässt das Baby den Mund zu, wenn der Löffel kommt, hat es entweder keinen Hunger oder keine Lust auf Brei. Man sollte das akzeptieren und erst später wieder etwas anbieten. Haben die Eltern das Gefühl, das Kind weiß noch gar nichts mit dem Löffel anzufangen, können sie spielerisch etwas Brei an die Lippen schmieren, um zu gucken, ob das Kind ihn ableckt. Darf das Kind selbst mit den Fingern im Brei matschen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass etwas davon im Mund landet und es ein Gefühl dafür bekommt, dass Brei ein Nahrungsmittel ist, für das es sich lohnt, den Mund zu öffnen. Keinesfalls dürfen die Eltern dem Kind den Löffel in den Mund zwingen.
 

Brei wird mit der Zunge rausgedrückt

 
Drückt das Kind den Brei mit der Zunge postwendend wieder raus, ist der Zungenstreckreflex noch zu stark und das Kind nicht beikostreif. Die Eltern sollten die Einführung von Brei um ein paar Wochen nach hinten verlagern.
 

Lutschen/Saugen

 
Lutschen oder saugen Kinder den Brei vom Löffel, kann es sein, dass die ab Geburt bestehende Saugreaktion noch zu dominant ist. Ist das Kind noch sehr jung (z.B. vier Monate) und saugt den Brei vom Löffel, ist die Beikosteinführung für dieses Kind noch zu früh und sollte auf den sechsten Monat verschoben werden (Van den Engl-Hoek 2008). Es ist auch möglich, dass das Kind am Löffel lutscht, weil die Eltern diesen zu lange im Mund des Säuglings lassen. Es ist wichtig, den Löffel nur kurz im Mund auf der Zunge verweilen zu lassen und ihn dann gerade wieder herauszuziehen (vgl. Hübl/da Costa, 2012: 35).
J. Hill: Löffel verweilt kurz auf der Zunge
 (Baby hier noch ohne Mundschluss)

Transportprobleme/Brei läuft aus dem Mund aus

 
Manche Kinder sind nicht in der Lage, den Brei im Mund nach hinten zu transportieren - er läuft zum größten Teil wieder aus dem Mund heraus, obwohl der Zungenstreckreflex nicht mehr dominiert. Häufig ist diese Art Problem bei Kindern mit Bewegungsstörungen zu sehen (vgl. Hübl/da Costa, 2012: 35). Gemeint ist übrigens nicht das übliche Sabbern breiessender Kinder. Bei Transportproblemen kommt wirklich nur ein geringer Teil des Breis im Magen an, das Füttern gestaltet sich langwierig und ist sehr anstrengend für Eltern und Kind (vgl. ebd, 2012: 35).
 
Eine Verbesserung kann durch eine veränderte Sitzhaltung erzielt werden: Das Baby sollte stabil und sicher sitzen, die Füße sollten Kontakt zum Boden oder einer Fußstütze haben, keinesfalls dürfen sie in der Luft schweben. Der Nacken sollte aufgerichtet sein  (vgl. ebd, 2012: 35). Kann das Kind noch nicht allein stabil sitzen, ist ein Füttern auf dem elterlichen Schoß oder in einem aufgerichteten Wipper möglich, aber (bei Transportproblemen) nicht optimal.
 
Hilft die optimierte Sitzhaltung nicht, das Transportproblem erheblich zu verbessern, ist möglicherweise eine Vorstellung des Kindes bei einem Logopäden angezeigt.
 

Verschlucken

 
Die meisten Kinder verschlucken sich deshalb, weil ihre Eltern den Brei an ihrer Oberlippe abstreichen. Dabei fällt der Brei meist als ganzer Block auf die Zunge herab und das Kind erschreckt sich durch den plötzlichen starken Reiz im (sehr sensiblen) Mund. Erschrickt es und atmet deshalb ein, kommt es zum Verschlucken. Eltern sollten daher darauf achten, den Löffel gerade in den Mund einzuführen, ihn kurz auf der Zunge liegen zu lassen und gleich wieder gerade herauszunehmen (vgl. Hübl/da Costa, 2012: 35). Das Kind sollte in der Lage sein, die Oberlippe nach unten und vorn zu bewegen, um den Brei vom Löffel abzunehmen und die Unterlippe beim Herausziehen des Löffels einzuziehen, um den Brei im Mund zu halten (vgl. Pridham, 1990; Morris/Klein 2001). Anfänglich gelingt das noch nicht gut, wird aber von den meisten Kindern schnell erlernt.
 

S. Stork: erste Versuche des Babys,
Brei mit Oberlippe vom Löffel
abzunehmen


Sollte es trotz korrekter Fütterungstechnik zum häufigen Husten oder Verschlucken kommen, ist eine ärztliche Abklärung notwendig. Eine endoskopische oder radiologische Schluckdiagnostik kann durchgeführt werden ("Fiberoptic endoscopic examination of swallowing - FEES" bzw. "Videofluoroskopische Schluckstudie - VFSS") (vgl. Seidl/Nusser-Müller-Busch 2011; Arvedson, 2011). Seltenes Verschlucken ist dagegen (leider) normal, da unsere Kinder die Koordination von Breitransport und Schlucken erst erlernen müssen.
 

Würgen

 
Ein Würgen tritt dann auf, wenn die Würgereaktion noch zu weit vorn im Mund lokalisiert ist. Manche Kinder würgen bereits, wenn ein Löffel oder ein Nuckel ihre Lippen berührt (Würgereiz ganz vorn lokalisiert), andere, wenn der Brei im Mund ist (Würgereiz mittig). Im Alter von sechs Monaten sollte die Würgereaktion normalerweise im hinteren Drittel des Mundes lokalisiert sein, so dass eine Einführung von Beikost problemlos ablaufen könnte. Ist dies nicht der Fall, beginnt die Einführung der Beikost für das Kind eventuell noch zu früh, oder es hat in den letzten Monaten nicht stark genug oral exploriert. Diese Kinder sollten spielerisch und ohne Zwang dazu angehalten werden, Dinge mit dem Mund und der Zunge zu untersuchen.
 
S. Stork: Brei von den Händen ablecken
Ebenso wichtig ist es, das Kind dazu zu ermutigen, den Brei selbst mit den Fingern zu erfühlen und ihn dann von dort abzulecken. Eltern können dann als als nächsten Schritt ein wenig Brei an die Lippen des Kindes schmieren - von dort kann das Kind ihn ohne Zwang ablecken (oder auch nicht). Der letzte Schritt zur Vorstufe zum Füttern mit dem Löffel ist das Verabreichen von Brei mit dem Zeigefinger. Die Eltern tunken ihren Finger in Brei und führen ihn dann vorsichtig in die Wangentasche des Kindes. Die Wangentasche ist nicht so empfindlich wie die Zunge und das Kind kann den Brei dort in der Regel besser tolerieren. Außerdem haftet am Finger des Elternteils weniger Brei, als auf einem Löffel liegt (Hübl/ da Costa, 2012).
 

Würgen bei Stückchen im Brei

 
Einige Kinder können Stückchen im Brei nicht tolerieren und würgen oder erbrechen, wenn sie diesen vorgesetzt bekommen. Es ist wichtig, zu wissen, dass für das Essenlernen nicht notwendig ist, diesen Zwischenschritt bis zur Einführung von Familienkost zu gehen. Kein Kind muss stückigen Brei essen  (Hübl/ da Costa, 2012: 37). Die Eltern können ab dem achten Monat neben dem fein pürierten Brei Fingerfood wie Bananen, Brötchen oder Dinkelstangen einführen, damit die Kaubewegung angeregt wird. Andere Maßnahmen sind nicht erforderlich.
 

Erbrechen

 
Kinder erbrechen Brei, wenn sie sich verschluckt haben, der Würgereiz ausgelöst wurde oder eine Fütterinteraktionsstörung mit den Eltern vorliegt (z.B. wenn die Eltern das Kind zuvor zum Essen gezwungen haben).
 
Selten können Kinder wegen einer Ösophagustenose (Engstelle in der Spreiseröhre) erbrechen. Dann ist das Weiterleiten von Flüssigkeit (Milch und Wasser) zwar möglich, nicht jedoch von festerer Kost. Letztere wird wieder ausgebrochen. Mit der Videofluoroskopischen Schluckstudie (VFSS) kann diese Engstelle erkannt werden. Sie muss operativ geweitet werden  (vgl. Hübl/ da Costa, 2012: 36).
 

 

Wenn die Beikosteinführung nicht gelingt

 
 
Im Durchschnitt erlernen Kinder, die im Alter von vier bis acht Monaten zum ersten Mal Beikost erhalten, innerhalb von 5,6 Wochen (plus/minus 2,1 Wochen) die Fähigkeit des Essens vom Löffel. Hat ein Kind auch nach 9,8 Wochen Beikosteinführung noch nicht gelernt, vom Löffel zu essen, ist eine ärztliche Abklärung und eine logopädische Begleitung des Kindes angezeigt (vgl. Van den Engl-Hoek etc al, 2007).

Definiert wird die Fähigkeit, vom Löffel zu essen, wie folgt:

Bei den ersten fünf Löffeln einer Mahlzeit 1) öffnet das Kind den Mund, wenn der Löffel vor ihm auftaucht, 2) schließt das Kind den Mund, wenn der Löffel im Mund ist, 3) zieht das Kind den Brei selbständig mit der Oberlippe vom Löffel, 4) hält das Kind den Brei im Mund, wenn der Löffel herausgezogen wird, 5) transportiert das Kind den Brei mithilfe der Zunge nach hinten, 6) schluckt das Kind den Brei und 7) während des Schluckens tritt kein/kaum Brei aus dem Mund aus (vgl. "Nimweger Beobachtungsliste zum Essen vom Löffel"- NOL, Van den Engl-Hoek et. al 2007).

Laut Hübl und da Costa sollte das Ziel sein, Probleme bei der Beikostgabe rechtzeitig zu erkennen, um Fütterinteraktionsstörungen zu verhindern. Logopäden können Eltern gezielt beraten und anleiten, damit sich Schwierigkeiten nicht verfestigen und den Familienalltag belasten (vgl. Hübl/da Costa, 2011, S. 38).


S. Stork: so soll es sein - Freude beim Breiessen



 
 

Literatur

 
 
Arvedson, J.C., Brodsky, L. (2002): Pedriadric Swallowing and Feeding: Assessment and Management. Second Edition. Albany: Thomson Delmar Learning
 
Biber, D. (2012): Frühkindliche Dysphagien und Trinkschwächen. Ein Leitfaden für Diagnostik, Mangement und Therapie im klinischen Alltag. Wien: Springer

Bledau-Greiffendorf, J. (2011): Physiologie des Schluckens und der Essfähigkeiten. In: Frey, Sophie (Hrsg.): Pädiatrisches Dysphagiemanagement. München: Elsevier, S. 23-40

Hübl, N., da Costa, S. P. (2011): Breikost im Kindesalter: eine Herausforderung für Eltern und Kinder. Physiologie - Diagnostik - Auffälligkeiten - Therapie. In: Sprachförderung und Sprachtherapie 1/12, S. 32 - 39

Morris, S. E., Klein, M. D. (2001): Mund- und Esstherapie bei Kindern. Entwicklung, Störung und Behandlung orofazialer Fähigkeiten. München: Urban & Fischer

Pridham, K. (1990): Feeding Behavior of 6 to 12 month old infants. Assessment ans sources of parental information. Session III: Infant Feeding Behavior and Parenting. In: Journal of Pediatrics 117 (2), S. 174-180

Seidl, R.O., Nusser-Müller-Busch, R. (2011): Endoskopische Schluckuntersuchung (FEES) bei Kindern. In Frey, Sophie (Hrsg.): Pädiatrisches Dysphagiemanagement. München: Elsevier, S. 175 - 196

Van den Engl-Hoek, L. (2008): Fütterungsstörungen. Ein Ratgeber für Ess- und Trinkprobleme bei Kleinkindern. Idstein: Schulz-Kirchner

Van den Engl-Hoek, L., de Groot, S., van Haaften, L. (2007): Nijmeegse Observatielijst Lepelvoeding (NOL). Logopedie en Foniatrie 11, S. 360-364

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