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Mein Kind zieht sich nicht allein an oder braucht ewig dafür

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Kinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.

Warum das so ist, haben wir im ersten Teil unserer Serie zur kindlichen Kooperation ausführlich erklärt. Im zweiten Teil gingen wir darauf ein, wie wir unsere Kinder ganz allgemein wieder zum kooperieren bringen können. Ergänzt wurde dieser Text mit Teil 3 der Serie, in der ich tagebuchartig verbloggte, wie viel ich und meine Kinder am Morgen kooperieren. In den folgenden Artikeln wollen wir alltägliche Situationen betrachten, die früher oder später in fast allen Familien zu Konflikten führen:

  • Mein Kind zieht sich (morgens) nicht allein an - oder braucht ewig dazu
  • Mein Kind will nicht die Treppe allein hochlaufen und will immer getragen werden
  • Mein Kind wirft andauernd Teller, Becher oder Essen auf den Boden
  • Mein Kind läuft immer weg

Wir haben einige Tipps und Tricks aufgeschrieben, die unseren Kindern die Kooperation im Alltag ein wenig zu erleichtern. Dazu beschreibe ich zunächst typische Probleme, gehe auf ihre möglichen Gründe ein und schlage ein paar praktische Lösungen vor, die euch helfen könnten.


Mein Kind zieht sich (morgens) nicht allein an oder braucht ewig dazu


In Ratgebern wird Eltern häufig geraten, den Kindern zu drohen, sie müssten den Tag im Kindergarten im Schlafanzug verbringen, wenn sie sich nicht sofort anziehen würden. Wichtig dabei sei, die Drohung auch durchzuführen, damit das Kind lernt, dass es den Eltern ernst ist. Die abgeschwächte Variante ist, das Kind zwar im Schlafanzug hinzubringen, es dann aber immerhin sich umziehen zu lassen, wenn es genügend Kommentare der anderen Kinder bzw. der Erzieher einstecken musste. Manchmal sagen verzweifelte Eltern auch, dass sie allein losgehen, wenn sich das Kind nicht augenblicklich fertig machen würde.

 
Man kann das alles natürlich ausprobieren und es macht euch nicht per se zu schlechten Eltern. Es zeigt nur, wie hilflos ihr euch fühlt im Angesicht Eures auf seinem Standpunkt beharrenden oder bummelnden laufenden Meters. Da ist es wirklich nicht verwunderlich, wenn man auf altbekannte Erziehungskonzepte zurückfällt, die einen schnellen Erfolg versprechen (und ja leider dieser Versprechen oft genug auch halten - Kinder beugen sich irgendwann dem Druck der Eltern).
 
Das Problem an dieser Art Erziehung ist jedoch in meinen Augen, dass man sich ziemlich oft in einem Machtkampf mit dem Kind wiederfindet. Es macht das Zusammenleben nicht schöner, wenn jeden Morgen erst einmal die "Wenn-Dann-Keule" herausgeholt werden muss, bis das Kind reagiert und sich doch dazu bequemt, sich anzuziehen. Ziemlich oft endet das permanente Genörgel der Eltern dann nämlich in schlechter Laune auf allen Seiten und manchmal auch im Streit, noch bevor der Tag richtig angefangen hat.
 

Warum Kinder sich nicht anziehen wollen

 
Einige Kinder sind ausgesprochene Morgenmuffel und sind vor ihrem ersten Kaffee Kakao schlichtweg nicht in der Lage, sich auf das selbständige Anziehen zu fokussieren. Andere Kinder sind Kuschler, die sich ihre Energie für den stressigen Kita-Alltag im Körperkontakt zur Mama oder zum Papa holen. Auch sie ziehen sich morgens ungern allein an, ebenso wie die Kinder, die sich vor allem dann geliebt fühlen, wenn sie von ihren Eltern Hilfe erhalten.
 

Lösungen für das Verhalten


1. Einfach helfen


Wenn euer Kind an sich in der Lage ist, sich selbständig anzuziehen und das in der Kita, an guten Tagen oder beim Kinderarzt auch zeigt, dann spricht wirklich nichts dagegen, euren Morgenmuffeln und Kuschlern zu helfen.

Was genau soll denn passieren? Dass sie sich daran gewöhnen und vergessen, wie sie sich selbst anziehen sollen? Dass sie sich mit 18 Jahren immer noch von euch anziehen lassen wollen? Eher nicht. Das sind dieselben Ängste, die uns eingeredet wurden, als unsere Kinder ins Familienbett zogen oder nach Bedarf gestillt wurden. Nichts von diesen unheilvollen Prophezeiungen ist eingetreten, oder? Denn der Mensch ist darauf ausgerichtet, sich weiter zu entwickeln - kein Kind möchte in der Baby- oder Kleinkindphase verharren.

Wenn ihr euren Kindern morgens beim Anziehen helft, dann lasst ihr sie noch ein bisschen Körperkontakt und Liebe tanken und zeigt ihnen, wie freundliches Miteinander funktioniert. Nämlich nicht mit Druck und Drohungen, sondern indem man selbst mit anfasst, um das "Projekt" zum Gelingen zu bringen.

 

2. Klamotten auf die Heizung legen


Bei meinen eigenen Kindern stellte ich irgendwann fest, dass ihr Unwillen, sich morgens zügig anzuziehen, vor allem darin begründet war, dass sie nicht aus ihrem kuschlig warmen Schlafanzug in die etwas steifen, kühlen Tagessachen steigen wollten. Sie waren ihnen schlicht zu kalt. Also hatte ich die Idee, die Anziehsachen einen Moment auf die Heizung im Bad zu legen und vorzuwärmen. Das brachte den Durchbruch!

Positiver Nebeneffekt der Heizungsvariante ist, dass sie sich relativ zügig anziehen müssen, wenn sie wollen, dass die Kleidungsstücke noch kuschlig warm sind. Denn sobald beispielsweise die Unterhose von der Heizung heruntergenommen wird, verliert er ja automatisch an Wärme und kühlt wieder aus. So kommt es, dass meine Töchter in den kühleren Jahreszeiten morgens im Bad vor der Heizung stehen und schnell Kleidungsstück für Kleidungsstück anziehen, um sich dann über die wohlige Wärme zu freuen.

3. Eine Anzieh-Straße auf den Boden legen


Es gibt Kinder, die mit der Logistik des Anziehens etwas überfordert sind. Für diese eignet sich der Trick, die Anziehsachen wie eine Straße vom Bett aus zum Bad auf dem Fußboden auszulegen.

Die Eltern legen also als erstes die Unterhose vor das Bett des Kindes. Einen Schritt weiter das Hemd. Noch ein paar Schritte weiter den Pullover. Dann die Strumpfhose/die Strümpfe. Dann die Hose. Das Kind zieht sich zunächst noch im Bett den Schlafanzug aus und geht dann von Station zu Station und stülpt sich ein Kleidungsstück nach dem anderen über. Ist es fertig angezogen, müsste es im Bad stehen. Sollte euer Kind morgens noch duschen, dann baut die Anziehstraße von der Dusche hin zur Küche.

 

4. Das Anziehen zeitlich verschieben


Manchmal gibt es so Tage, da ist den Kindern Spielen einfach wichtiger, als anziehen. Nun denn - ich akzeptiere das so und frage im Verlauf des Morgens immer mal wieder nach, ob sie jetzt bereit sind, wie ihr in Teil 3 dieser Serie über Kooperation lesen konntet. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich die Sachen dann einfach in eine Tasche gepackt und mitgenommen habe: Wenn man es nicht als Drohung verkauft, ist das Anziehen der Sachen erst im Kindergarten nämlich eine gute Option!

Es ist nicht peinlich, im Schlafanzug zum Kindergarten zu kommen, nur die doofen Erwachsenen behaften diese Möglichkeit mit Scham. Ich habe meine Kinder schon als Babys zum Pekip-Kurs morgens einfach im Schlafanzug gebracht, da sie dort ja sowieso wieder ausgezogen wurden. Und ich bin durchaus auch schon mit zwei fröhlichen Mädchen im Pyjama (mit Jacke und Schuhen) zum Kindergarten gelaufen und habe sie dort dann umgezogen, weil wir morgens einfach zu lange kuschelnd im Bett gelegen haben. Was ist daran peinlich? Nichts.

Es gab an diesem Tag natürlich ein paar Nachfragen von ihren Freunden, aber unsere Erklärung, dass wir einfach zum Anziehen noch keine Zeit gefunden hatten, weil wir viel zu schön gespielt hatten, wurde, typisch für Kinder, ganz einfach als normal und gut akzeptiert. Niemand lachte oder hänselte. (Allerdings wohnen wir in Berlin - vielleicht funktioniert das anderswo nicht ganz so problemlos. Hier gehen durchaus auch fünfzigjährige Frauen im Bademantel und mit Pantoffeln mit ihren Hunden Gassi und werden nicht schräg angesehen.)

Eine andere Möglichkeit, das Anziehen zeitlich zu verschieben, ist, dem Kind zu erlauben, die neuen Sachen für den nächsten Tag schon vor dem Schlafengehen anzuziehen. Dann würde es in diesen Sachen schlafen. Das ist nicht so furchtbar bequem, aber als Übergangslösung kann man das durchaus nutzen. Eine meiner Töchter hat das für etwa drei Tage so probiert, dann hatte sie von allein genug von diesem Experiment.

Wann das selbständige Anziehen zu viel verlangt ist


Manchmal sehe ich nachmittags, wenn alle ihre Kinder aus der Kita abholen, Eltern, die dort in der Garderobe darauf bestehen, dass sich ihr Kind selbst mit Jacke und Schuhen ankleidet, obwohl das Kind durch Schreien oder Weinen signalisiert, dass es das gerade nicht will.

Liebe Eltern, es ist verständlich, dass ihr eure Kinder zur Selbständigkeit anleiten wollt und ich kann auch nachvollziehen, dass ihr nicht andauernd Bock habt, eurem Kind bei etwas zu helfen, das es eigentlich schon kann. Aber in dieser speziellen Situation ist es zu viel von euren Kindern verlangt, sich selbst anzuziehen. Denn eure Kinder hatten einen stressigen Kita-Tag hinter sich, manche bis zu 8 Stunden. Alles, was sie jetzt noch wollen und können, ist, in eure Arme zu fallen und zu kuscheln. Das tun sie nicht ohne Hintergrund - durch den Körperkontakt wird das Glückshormon Oxytocin ausgeschüttet, das der beste und wirksamste Gegenspieler von innerem Stress ist! Eure Kinder wollen gern von euch angezogen werden, weil sie dadurch ihr inneres Gleichgewicht wieder herstellen. Wenn das nicht kompetent und selbstständig ist, dann weiß ich auch nicht. Sie sind nicht faul - sie betreiben Psychohygiene par excellence.

 

Ausblick


Das waren die ersten situationsbezogenen Tipps und Tricks in unserer Kooperationsserie. Wir werden uns in den nächsten Wochen näher mit den Themen Treppe allein hochlaufen, Herunterwerfen von Tellern, Bechern oder Essen und Weglaufen des Kindes beschäftigen.


Wenn ihr daran interessiert seid, können wir noch über weitere Situationen schreiben, die euch persönlich beschäftigen. Schreibt und einfach einen Kommentar, womit wir euch helfen können oder auch gerne, welche Tricks bei euch in bestimmten Situationen gut geholfen haben.

© Snowqueen 

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