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"Schnall Dich an, sonst stirbt ein Einhorn" - Hayers und Achterwinter

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Neulich schlenderte ich durch Rossmann und im Bestseller-Regal fiel mir das Buch ins Auge "Schnall Dich an, sonst stirbt ein Einhorn" mit dem Untertitel "100 nicht ganz legale Erziehungstipps". Der Titel allein ließ zwar schon ahnen, in welche Richtung es gehen wird - aber um das Buch nicht vorschnell zu verurteilen, bat ich den rororo-Verlag um ein Rezensionsexemplar, welches mir dieser freundlicherweise zur Verfügung stellte (vermutlich bekommen ich nach dieser Rezension nie wieder eins ;-) - ich bedanke mich dennoch sehr herzlich dafür!

Das Buch


Der Inhalt ist relativ schnell erklärt - insgesamt 100 Erziehungstricks werden vorgestellt. Dabei wird zunächst eine Ausgangssituation beschrieben und dann erklärt, wie man das Problem (vermeintlich) effektiv löst. Die Tipps sind in insgesamt fünf Themengebiete unterteilt: 

  • Gesund und munter
  • Saubär hingekriegt
  • Erwachsen werden, wozu?
  • Zusammen leben und lernen
  • Reden ist Gold, Ruhe auch

Im ersten Teil geht es rund um die Gesundheit - vom Kampf wegen der Kleidung über Süßigkeiten hin zum gesunden Essen. Der zweite Teil beschäftigt sich mit Konflikten rund um Sauberkeit und Hygiene, beim dritten und vierten habe ich keinen wirklichen Zusammenhang erkannt - es sind auf jeden Fall recht viele Pubertier-Themen dabei. Im letzten Teil geht es abschließend im weitesten Sinne um Kommunikation (auch im Sinne von Türen schmeißen).

Beim Verfassen der Situationsbeschreibungen lag der Hauptfokus darauf, es irgendwie lustig zu machen - manchmal kann man tatsächlich schmunzeln, meist wirkt der Humor jedoch sehr erzwungen und plakativ. Mich persönlich strengt so etwas ziemlich an, zudem die vermeintliche Lustigkeit oft gar nicht zur eigentlichen Dramatik der Situation passt.

Meine Meinung zum Buch


Als ich das Buch las, wurde ich von Minute zu Minute trauriger und ärgerlicher. Und das aus verschiedenen Gründen. Zunächst einmal wollte mir nicht aus dem Kopf gehen, dass ich das Buch im Sachbuch-Bestseller-Regal gesehen hatte. Das heißt: Es ist aktuell eines der zehn Bücher, die am häufigsten in Deutschland verkauft werden (das treibt mir  - im wahrsten Sinne des Wortes Tränen in die Augen).

Das Buch hat außerdem die recht gute Bewertung von 4 Sternen bei Amazon. Nur mal zum Vergleich - die Neuauflage von Frau Kast-Zahns Trotzbuch (das ich kürzlich sehr ausführlich hier rezensierte) hat berechtigterweise die niedrigmöglichste Bewertung von einem Stern. Ganz offenbar lesen also die Leute "Schnall Dich an, sonst stirbt ein Einhorn" und finden es tatsächlich lustig und - noch viel schlimmer - hilfreich und - noch viel, viel schlimmer - empfehlen es weiter, so dass es sich zum Bestseller entwickelt hat.

Da komme ich ganz ehrlich schrecklich ins Grübeln. Das also ist die "normale" Einstellung gegenüber Kindern? Dass man allerlei List und Tücke aufwendet, um sie zu manipulieren?  Alle, wirklich alle im Buch vorgestellten Tipps basieren nur auf genau vier Methoden: Lügen, Drohungen, Erpressung und Bloßstellung. Oft auch aus einer Kombination dieser. Gut - der Untertitel "100 nicht ganz legale Erziehungstricks" ließ das schon vermuten, aber mit welcher Kaltblütigkeit und Hartherzigkeit da gegen (manchmal völlig altersgerechtes) kindliches Verhalten vorgegangen werden soll, macht mich sprachlos!

Die meisten Tricks basieren darauf, Kinder einfach schamlos anzulügen. Das Kind will sich nicht anschnallen? Erzähl ihm, dass deswegen ein Einhorn sterben wird und es für seinen Tod verantwortlich wäre. Bin ich die einzige, die das komplett unlustig - ja sogar grausam findet? Ich sehe die Autoren des Buches schon kopfschüttelnd vor mir: "Wieder so eine überempfindliche Übermutti! Diese Helikoptereltern sind echt total humorlos und überbehütend - furchtbar!" Nee - ich bin weder das Eine, noch das Andere. Ich frage mich einfach, wie lustig es ein Mann finden würde, wenn er von seiner Frau hören würde: "Los, bring endlich den Müll raus, sonst stirbt dein bester Freund Martin!" 

Kinder zum Funktionieren zu bringen, in dem man ihnen (die erlogene) Verantwortung für den Tod eines Fabelwesens überträgt ist, nicht nur "nicht ganz legal", sondern einfach nur dumm und verachtend.

Und es gibt zahlreiche andere Beispiele für "Lüg einfach, dann läuft es so, wie du es dir erwünschst": 

Die Kinder mögen kein Reis? Lüg sie an und behaupte, das seien Mininudeln.  
Dein pubertierender Sohn ist zu dick? Lege ihm ein Foto mit einem hübschen Mädchen vor und behaupte, das sei das Au-Pair, das im Sommer zu euch kommt - dann wird es schon abnehmen!

Lässt Dein Kind immer das Wasser laufen, deponiere Badezusatz im Hahn, damit dreckiges Wasser heraus kommt und behaupte, das Läge daran, dass das Kind nie den Hahn ordentlich schließt. 

    Das Buch ist außerdem reich an Vorschlägen, das Kind mit Demütigungen gefügig zu machen: 

    Dein Kind schmeißt sich vor den Süßigkeiten an der Kasse auf den Boden und hat einen Wutanfall? Tue es ihm nach - es wird sich so schämen, dass es das nie wieder tut!

    Schmeißt das Kind ständig Essen auf den Boden: tue so, als müsste es ab jetzt immer unter dem Tisch essen. 

      Auch beliebt: subtile Drohungen/Erpressungen: 

      Die Kinder sind im Bus trotz Ermahnung nicht leise? Hab immer eine Süßigkeitentüte dabei, die du dann als Entschuldigung an die anderen Fahrgäste verteilst. Nur wenn sich die Kinder benehmen kommen sie selbst in den Genuss der Süßigkeiten.

        Aber auch andere Fiesheiten werden vorgeschlagen: 

        Überschreitet das Kind die Surfzeit am PC, dann schütte ihm immer wieder Juckpulver in den Nacken (zur pawlowschen Konditionierung.

        Kommt Dein Kind betrunken heim, male ihm mit einem wasserunlöslichen Edding (!) ins Gesicht, so dass es glaubt, im Rausch beim Tätowierer gewesen zu sein.

        Wenn dein Kind erklärt, kein Fleisch mehr essen zu wollen, dann serviere Hühnerfilet und Leberkäse als Saitan und Tofu.

        Zum Abstillen kann man ruhig mal Senf auf die Brustwarze geben - das wird dem Kind die Milch schon verleiden.

        Wäscht sich dein Teenager nicht die Haare: Streu Glitzerpulver rein, das wird ihn schon dazu bringen.

        Wenn der Wunschzettel der Kinder überquillt: schenke "Gutscheine" für Sachen und sag, Du kaufst sie im Februar. Die meisten Kinder haben den Wunsch bis dahin dann eh vergessen.
          Der Gedanke daran, wie viele Eltern nun diese tollen Tricks ausprobieren werden, macht mich wirklich traurig. Und natürlich werden die meisten funktionieren - und zwar deshalb, weil Kinder ihren Eltern vertrauen und ihnen gefallen wollen. Das kindliche Vertrauen ist ein so kostbares Gut - hier wird empfohlen, es mit den Füßen zu treten, um die eigenen Interessen mit Macht durchzusetzen. Kinder haben die Kompetenz, mit uns gemeinsam Probleme zu lösen. Miteinander reden, einander zuhören, sich mit Respekt zu begegnen, ernst genommen zu werden und mit einander in Beziehung zu stehen machen Drohungen, Lügen und Erpressung vollkommen überflüssig!

          Bei meiner Rezension zum Buch von Anette-Kast Zahn wurde in den Kommentaren kritisch angemerkt, dass meine sachliche Rezension durch den letzten Teil zu einer aufgeregte Kritik geworden sei. Ich fürchte, auch dieses Mal befinde ich mich meilenweit von einer sachlichen Buchbesprechung entfernt - aber da das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, kann ich abschließend in aller Klarheit resümieren:

          Dieses Buch ist einfach nur unglaublich schlecht und menschenverachtend!

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