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Postpartale/postnatale Depressionen - wenn aus dem Babyglück durch eine Wochenbettdepression ein Alptraum wird

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Kurz nach der Geburt erleben die meisten (etwa 60 bis 80 %) Frauen  die Heultage, auch "Babyblues" genannt. Durch die oft überwältigende Geburt und die nachfolgende Hormonumstellung im Körper (der Östrogenspiegel, der einen stimmungsstabilisierenden Effekt hat,  sinkt) gerät die Psyche ins Strudeln. Die Mütter leiden unter Stimmungsschwankungen, weinen viel und sind unglücklich. Sie fühlen sich erschöpft, angespannt und unsicher, sind nervös reizbar und sorgen sich, ob sie den Anforderungen gewachsen sind.
 
Diese Gefühle sind im Rahmen des normalen Babyblues (sogenanntes postpartales Stimmungstief) ganz normal, meistens dauern sie nur wenige Tage, gelegentlich bis zu zwei Wochen. Frauen, die darunter leiden, benötigen viel Ruhe und Unterstützung, normalerweise verschwindet das Gefühlschaos nach ein paar Tagen - in der Regel spätestens nach zwei Wochen.

Über die Ursachen gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Die Art der Geburt scheint keinen Einfluss auf das Auftreten zu haben. Manche Wissenschaftler sind der Meinung, dass der Babyblues vor allem durch die technisierte Geburt entsteht, wodurch das ruhige Kennenlernen des Babys erschwert wird und nicht die erforderliche Ruhe im Mittelpunkt steht. Eine Meta-Studie (143 Studien) zu dem Thema von Wissenschaftler der State University New York ergab, dass postpartale Stimmungskrisen abhängig sind vom Umfeld - in einigen Ländern (mit anderen Geburtsumständen wie z. B. Malaysia oder Singapur) sind sie deutlich seltener sind, als in anderen.
 
 

Die Symptome einer Wochenbettdepression

 

Wenn die traurigen, niedergeschlagenen Gefühle länger anhalten, ist es wahrscheinlich, dass sich eine Wochenbettdepression entwickelt hat (etwa in 10-20 % der Fälle). Diese ist deutlich schwerwiegender, als der harmlose Babyblues und erfordert in der Regel Unterstützung. Sie kann auch erst Monate nach der Geburt auftreten - solche Fälle bleiben häufig unerkannt, da die meisten davon ausgehen, dass die Krankheit wenn, dann dann unmittelbar nach der Geburt beginnt.
 
Es gibt eine Vielzahl an Symptomen, die auf eine ernstzunehmende postnatale Depression hinweisen können:
 
  • es herrscht das Grundgefühl "es geht mir nicht gut" vor, welches sich morgens und abends verstärkt,
  • es herrscht eine starke Lustlosigkeit und Antriebslosigkeit,
  • Entscheidungen zu treffen fällt ungewöhnlich schwer, er herrscht Desinteresse,
  • man hat das Gefühl, dass das Leben keinen Sinn hat,
  • man empfindet kaum noch Spaß oder Freude, kann kaum noch Lachen,
  • das Baby fühlt sich "fremd" an,
  • man fühlt sich schuldig, weil man so empfindet,
  • man ist nah am Wasser gebaut - die nichtigsten Anlässe führen zu Tränenbächen,
  • Schlaflosigkeit trotz absoluter Erschöpfung,
  • man fühlt sich gereizt und aggressiv,
  • es fällt einem schwer, sich zu konzentrieren,
  • das Gefühl der Überforderung begleitet einen ständig,
  • Panikattacken treten auf,
  • destruktive Gedanken (man stellt sich vor, wie man bspw. sein Baby schlägt), setzt sie aber nicht um,
  • man entwickelt hypochondrische Züge in Bezug auf das Baby und einen selbst,
  • man leidet unter Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit  und ähnlichen psychosomatischen Beschwerden,
  • die Lust auf sexuelle Aktivitäten ist kaum vorhanden und
  • Nahrung wird kaum oder im Übermaß zu sich genommen.

Die Ausprägung kann sehr unterschiedlich stark sein - von dauerhafter leichter Beeinträchtigung bis hin zu Suizidgedanken. Manche Frauen haben dabei eine Vielzahl der genannten Symptome, einige nur einzelne. Typisch ist ein schleichender Beginn - meist wird die Depression erst aufgrund auftretender körperlicher Symptome erkannt.
 

Die peripartale/postnatale Psychose


 
Die perinatale Psychose ist die stärkste Form der Erkrankung. Sie kann bereits in der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt entstehen oder sich aus einer Wochenbettdepression heraus entwickeln (Häufigkeit etwa eine bis drei von 1000 Müttern).

Sie ist von extremen Angstzuständen gekennzeichnet. Manische Phasen, in denen Unruhe und ein starke Antrieb vorherrschen, wechseln sich mit teilnahms- und antriebslosen depressiven Phasen ab. Hinzu kommen Halluzinationen und Verwirrtheit. Gedanken an Selbstmord sind vorherrschend, er wird nicht selten durchgeführt. Auch die Gefahr der Kindstötung (Infantizid) besteht. Eine ärztliche Behandlung ist (und auch gegen den Willen der Frau) erforderlich.
 

Behandlung


 
Wenn man den Verdacht hat, dass man unter einer postnatalen Depression leidet, sollte man sich unbedingt Hilfe suchen. Bei leichteren Krankheitsverläufen kann Selbsthilfe erfolgreich eingesetzt werden. Der Austausch mit Betroffenen und die Auseinandersetzung mit dem Thema kann dabei sehr hilfreich sein. Im Internet kann ich dafür die Seite Schatten und Licht empfehlen. Auch Schwangerenberatungsstellen, sozialpsychiatrische Dienste und psychosoziale Beratungsstellen  haben geschultes Personal zur Unterstützung.
 
Man sollte sich nicht scheuen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Depression ist eine Erkrankung - kein mütterliches Versagen. Die Behandlung erfolgt in der Regel durch eine Kombination aus psychotherapeutischer Behandlung und Psychopharmaka wie Antidepressiva oder Tranquilizer (Angstlöser). Häufig haben Frauen Angst, davon abhängig zu werden - diese Angst ist jedoch unbegründet! Es gibt auch stillfreundliche Präparate - ein Abstillen ist nicht zwingend erforderlich. Man muss jedoch eine gewisse Zeit für den Eintritt der Wirkung einkalkulieren - es ist daher wichtig, die Medikamente wie verschrieben einzunehmen und nicht wegen vermeinlicher Wirkungslosigkeit vorzeitig abzusetzen. Auch wenn man sich deutlich besser fühlt, sollte man nicht eigenmächtig entscheiden, die Psychopharmaka abzusetzen.

Perinatale Psychosen bedürfen in jedem Falle einer stationären Behandlung, da die Suizidgefahr extrem hoch ist. Oft denken die Mütter dabei über einen erweiterten Selbstmord nach, bei dem sie ihr Kind töten.
 

 

Wie kann man Frauen mit einer Wochenbettdepression unterstützen?

 
 
Partner beobachten meist ohnmächtig und hilflos die Veränderung ihrer Frauen nach der Geburt. Leider können sie die Gefühlslage nicht nachvollziehen - ihnen ist unklar, warum das lang ersehnte Baby plötzlich zu so umfassender Traurigkeit führt. Dennoch sollte versucht werden die Gedanken und Gefühle ernst zu nehmen. Wichtig ist es, sich bewusst zu machen, dass es sich um eine nicht selbst verschuldete Krankheit handelt. Apelle wie "stell Dich nicht so an" oder ähnliche Unverständnisbekundungen helfen nicht weiter und verstärken die Schuldgefühle.

Die Mutter braucht unbedingt Unterstützung. Diese wird man als Partner vermutlich nicht alleine leisten können, daher sollte das erste Ziel sein, dass die Mutter ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt. Reden hilft! Immer. Auch wenn es zum gefühlt dreihundertfünfundsiebzigsten Mal um das selbe Thema geht - jeder Austausch hilft bei der Verarbeitung und bringt Stück für Stück weiter. Auch Ruhe ist von großer Wichtigkeit. Hilfe im Haushalt und bei der Betreuung des Baby sind sehr wichtig - kann man diese nicht selber leisten, sollte Unterstützung von Dritten in Anspruch genommen werden. Diese bieten bspw. Mütterpflegerinnen an. Caritas und die Diakonie unterstützen mit Familienpflegern.

Eine sehr gute Zusammenfassung zu unterstützenden Maßnahmen durch Freunde und Angehörige findest Du auch hier.
 

 

Meine eigenen Erfahrungen 


 
Mein erstes Kind wurde nach einer langen Kinderwunschzeit nach künstlicher Befruchtung geboren. Den klassischen Babyblues machte ich noch im Krankenhaus durch - danach fühlte ich mich erst mal eine Weile sehr gut. Meine Tochter war ein sehr schwieriges Kind - so empfand ich es damals. Im Artikel Bauchgefühl - Warum rein intuitive Erziehung nicht naturgegeben ist und ihre Grenzen hat habe ich darüber geschrieben, wie in den ersten Wochen nach der Geburt meine Erwartungshaltung und die Realität auseinander klafften. Statt stolz, glücklich und zufrieden den Kinderwagen durch den Ort zu schieben habe ich mich kaum raus getraut, weil mein Kind ständig schrie. Sie schlief schlecht ein, wachte ständig wieder auf und ließ sich kaum ablegen - das war unglaublich anstrengend.

Die "Dreimonatskoliken" hielten bis zum 5. Monat an - danach ging sie zu permanenter Meckerei über und war chonisch unzufrieden. Sie wollte immer mehr, als sie konnte. Zwar war sie motorisch durchaus fit, aber es reichte ihr nie. Und sie schlief kaum - ich kam tagsüber quasi nie zur Ruhe. War sie eingeschlafen, gab es eine ellenlange Liste von Erledigungen - auch Toilettengänge und Müll raus bringen füllten das Zeitfenster, das war mit ihr zusammen kaum möglich. Abends drückte ich sie dem Papa in den Arm, der etwas verwundert war, dass man nach einem Tag daheim "nur mit Kind" so erschöpft sein kann. So konnte ich dann halbwegs den Haushalt und etwas zu essen machen - allerdings auch nur etwa ein bis zwei Stunden, dann war Schlafenszeit. Nur schlief sie nicht. Allabendlich saß ich 40 bis 60 Minuten an ihrem Bett und schaute zu, wie sie rumwuselte. Raus gehen ging nicht - das führte zu hsyterischem Gebrüll.

Ich war angestrengt. Genervt. Traurig. Ein süßes Baby? Endlich Mutter? Ich fühle mich leer, kraftlos, ausgelaugt. Ich hatte sehr hohe Ansprüche an mich - nachdem ich so lange gewartet hatte, sollte alles perfekt sein. Ich wollte alles perfekt machen. Und ich gab mir solche Mühe. Und was war das Ergebnis? Ein schlecht gelauntes, meckerndes Kind. 

Die Situation spitzte sich zu - das Kind unzufrieden, ich unzufrieden, ich kam kaum raus (weil ich mich wegen des nörgelnden Kindes schämte), ich kam zu nichts und ich entwickelte Aggressionen. Auch dem Kind gegenüber. Das hätte ich niemals für möglich gehalten. Ich wusste damals und ich weiß heute, dass ich niemals handgreiflich werden würde, aber diese negativen Gefühle meinem innig gewünschten Kind gegenüber haben mich verstört. Dazu kam, dass meine Tochter ein sehr unfröhliches Baby war - sie lachte wenig und konnte Kuscheleinheiten wenig abgewinnen (die Welt zu Entdecken war interessanter). Ich kann mich noch erinnern, wie ich irgendwann wütend erklärte: "Dieses Kind nimmt immer nur - es kommt rein gar nichts zurück!" Mein Gefühlsleben verschlimmerte sich schleichend. Und ja - dafür schäme ich mich heute noch - ich hatte auch das Gefühl, mein Kind nicht vollständig annehmen zu können. Diese unglaubliche Liebe, die einen nach der Geburt angeblich sofort ergreifen sollte, blieb bei mir (zunächst) aus. Ich hatte da ein Kind, um das ich mich gekümmert habe, das ich durchaus gern hatte, aber die grenzenlose Mutterliebe fehlte. Heute weiß ich, dass ein verzögertes Bindungsverhalten ein Symptom einer postpartalen Krise ist - in etwa einem von 10 Fällen kommt es dazu. Auch die Aggressionen waren ein Zeichen für die Erkrankung - sie entwickeln sich bei einem Prozent aller Wochenbettdepressionen.

 
Also meine Tochter etwa 8 Monate alt war, realisierte ich, dass das kein normaler Zustand sein kann - ich empfand keine Freude, kein Glück, war gestresst und leer. Und so enttäuscht. Von meinem Kind, von mir, vom Leben. So konnte das nicht weitergehen und ich begann selbstreflektierend Ursachenforschung zu betreiben. Relativ schnell ging mir auf, dass mein Perfektionswille mich am meisten stresste. Ich wollte immer stark erscheinen, so als ob ich alles im Griff hätte. Vor allem auch gegenüber meinen Eltern - sobald ich über irgendetwas auch nur ansatzweise klagte, hieß es "Du hast es doch so gewollt". Ja - ein Kind habe ich gewollt - aber nicht eine solche Situation! Meine Mutter leidet an selektiver Amnesie - bei ihr war damals immer alles gut und unkompliziert, die Kindererziehung lief vollkommen problemlos. Ich hatte das Gefühl, dass das auch von mir erwartet wurde. Aber ich schaffte es nicht, diese Ansprüche zu erfüllen. Dank Dr. Internet kam ich auf den Gedanken, dass es sich um eine postnatale Depression handeln könnte.

Bei meiner Hausärztin fragte ich bei einem Besuch nebenbei, ob eine Wochenbettdepression auch noch so spät auftreten könne, was sie bejahte. Ich erinnere mich, wie ich vor ihr saß und bittere Tränen flossen - das Eingeständnis, dass eben nicht alles toll und perfekt ist, fiel mir so schwer - aber gleichzeitig war es eine enorme Befreiung! Das war der Anfang einer massiven Besserung. Ich setzte mich intensiv mit meinen Gefühlen und Gedanken auseinander, redete mit meinem Freund und änderte meine Einstellung grundlegend. Ich machte mir bewusst, dass es überhaupt nicht darauf ankommt, was andere denken. Dass auch 80% reichen und es nicht immer 110% sein müssen. Von der Ärztin bekam ich Neurexan (ein homöopathisches Präparat), ob das wirklich half? Nun - es hat zumindest nicht geschadet. Und mein Kind begann zu krabbeln. Und wurde wegen der neu gewonnenen Mobilität - oder meiner neuen Entspanntheit - deutlich zufriedener. Mit ihrer Zufriedenheit stieg meine Zufriedenheit. Außerdem begann ich zwei Tage in der Woche zu arbeiten - dadurch kam ich raus, unter Menschen und hatte auch wieder andere Themen im Kopf, als ausschließlich Mutter sein. So habe ich es nach und nach geschafft, selbst diese Krise zu überwinden. Glücklicherweise war meine postnatale Depression nur leicht ausgeprägt, weswegen ich sie zwar sehr spät als solche erkannt habe aber auch ohne psychotherapeutische Behandlung auskam.

Ich möchte alle Mütter ermutigen, sich Hilfe zu suchen, wenn sie nach der Geburt das Gefühl haben, unglücklich oder unzufrieden zu sein. Eine Wochenbettdepression ist eine durch verschiedene Umstände ausgelöste Krankheit, die man gut behandeln kann - man sollte seinen Zustand nicht als eigenes Versagen empfinden!
 
© Danielle



Quellen

 

Schonhöft, Michaela: Kindheiten: Wie kleine Menschen in anderen Ländern groß werden
 

http://www.schatten-und-licht.de

Bildnachweise

Frau versteckt sich (s/w): sokaeiko / pixelio.de
Frau mit Daumen im Mund: Clarissa S. / pixelio.de
Frau mit orangenem Pullover: Günter Havlena / pixelio.de



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