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Lernen - wie wir ganz einfach fördern, dass unsere Kinder stark, klug und glücklich werden

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Im gestrigen Artikel Lernen - wie Kinder wirklich lernen und wie Frühförderung sie dabei behindert hatte ich darüber geschrieben, wie Kinder lernen und dass all die gut gemeinten Förderversuche, auf die wir bisher zurückgegriffen haben, nichts wert sind und im Zweifelsfalle sogar schaden. Dass man sein Kind einfach "machen lassen" soll, weil es dann von selbst in den "Flow" findet und das besser und tiefer, als wir das je künstlich nachstellen könnten. Es gibt aber durchaus Dinge, die man tun kann, um echtes, freudvolles Lernen zu unterstützen:  
 
 

Gemeinschaftliches Tun/Spielen



Die Erfahrung, mit jemandem in engster Verbundenheit zu wachsen, haben unsere Kinder bereits im Mutterleib gemacht. Sie ist tief in ihrem Gehirn verankert und bedeutet, dass sie auf die Welt kommen mit der Erwartungshaltung, dass dies jetzt immer so weiter geht: Sie gehen davon aus, in Verbundenheit mit anderen, und doch selbständig, die Welt erkunden zu können (vgl. Hüther, G., Hauser, U.: 2012, 106). Dabei ist es unabdingbar, dass der Mensch, mit dem sie sich gemeinsam auf dieses Abenteuer einlassen wollen, feinfühlig genug ist, um sie in ihrem eigenen Tempo gehen zu lassen und nicht vorschnell einzugreifen: Oft setzen sich die Väter am Abend gern zusammen mit ihren Kindern auf den Teppich und bauen z. B. Lego-Duplo-Landschaften. Wichtig hierbei ist es eben, als Erwachsener nicht die Führung zu übernehmen, sondern nur den Impulsen des Kindes zu folgen. Baut das Kind des Duplo-Turm etwas schief - dann greift nicht ein. Lasst es machen, lasst es ausprobieren und lernen, was passiert. Der nächste Turm wird gerader, versprochen. Es lernt das aber weniger gut, wenn ihr es in dieser Situation belehrt und sagt: "Guck mal, so wird ein Turm gebaut!". Erst, wenn das Kind konkret um eure Hilfe bittet, könnt ihr Tipps geben. Ihr könnt auch daneben selbstversunken euren eigenen Turm bauen - dort kann das Kind sich dann ganz ohne Druck abgucken, wie es besser geht.

Im letzten Sommer sah ich auf unserem Wasser-Sand-Spielplatz eine wirklich schöne Situation zwischen einem Papa, seinen zwei Söhnen und seiner Tochter. Sie hatten sich wohl gemeinsam vorgenommen, einen Damm zu bauen, um dahinter eine riesige Sandburg mit Tunneln für Matchboxautos zu errichten. Als ich kam, stand der Damm schon und auch die Sandburg war schon ordentlich groß. Jedes der Kinder war völlig vertieft in eine Aufgabe - und der Vater war der eifrigste Buddler von allen. Brach irgendwo der Damm unter den fließenden Wassermassen zusammen, sprangen alle auf, riefen sich gegenseitig Anweisungen und Ratschläge zu und behoben zusammen den Konstruktionsfehler. Ich habe sie dabei bestimmt eine Stunde beobachtet - sie waren alle ununterbrochen hoch konzentriert, halfen sich gegenseitig und waren völlig bei der Sache - obwohl es doch nur ein Spiel war. Dieser Papa, man merkte es schnell, hatte ebenso viel Spaß daran, wie sein Nachwuchs und seine Begeisterung steckte die Kinder an, die sich von ihm bereitwillig auch Konstruktionstipps geben ließen, da er sie nicht "von oben herab" referierte, sondern als "einer von ihnen" - besser kann man das als Elternteil eigentlich nicht machen.
 
Schafft man es, die Balance zu halten zwischen Mitspielen und "Lehren", wenn man es also ganz den Impulsen des Kindes folgt und sich selbst zurücknimmt, dann macht man seinem Nachwuchs das beste Geschenk aller Zeiten: Mit jemandem aufs Engste verbunden zu sein und sich gleichzeitig frei und autonom mit all seinen Fähigkeiten und Interessen in das gemeinsame Tun einzubringen. In diesem Zustand der geteilten Aufmerksamkeit ("Shared Attention") werden die wichtigsten Grundbedürfnisse unserer Kinder gestillt. Wenn sie das oft erleben dürfen, sind sie viel eher bereit, ihre eigenen Wünsche kurzzeitig zurückzustellen und auf die anderen zu achten, sie anzuspornen, damit das gemeinsame Wer gelingt (vgl. Hüther, G., Hauser, U.: 2012, 107). Dies wiederum sind wichtige Grundsteine für die Ausbildung vom Empathie und Impulskontrolle - Dinge, die in unserer Gesellschaft mehr und mehr verloren gehen, jedoch eigentlich die Voraussetzung für eine funktionsfähige Gruppe sind, in der die Menschen glücklich und zufrieden leben.
 

Märchen vorlesen



Märchen beflügeln die Phantasie, erweitern den Sprachschatz, befähigen, sich in andere hineinzuversetzen und Gefühle nachzuerleben und lassen das Kind still sitzen und aufmerksam zuhören (vgl. ebd: 2012, 102). Das Erzählen von Geschichten ist die höchste Form des Unterrichtens, denn Lernen gelingt nur dann richtig, wenn die emotionalen Zentren im Gehirn aktiviert sind und das Gehörte "unter die Haut" geht (vgl. ebd: 2012, 103). Dabei ist es wichtig, dass die Eltern selbst Spaß an der Geschichte haben, denn unsere Kinder merken schnell, wenn Interesse nur vorgeheuchelt oder gespielt ist. Sind die Eltern richtig dabei, entsteht von ganz allein eine Atmosphäre, die gleichzeitig entspannt und doch spannend ist. Die Geschichte sollte dem Alter angepasst sein. Sie muss ein wenig aufregend sein, doch darf sie nicht zu starke Angst machen. Am besten sind Geschichten, in denen kleine Helden Gefahren bestehen, ihre eigene Angst überwinden und über sich selbst hinauswachsen, um am Ende das Böse zu bezwingen, denn unsere Kinder identifizieren sich mit ihren Bücherfreunden und ziehen aus deren Abenteuern Motivation und Ermutigung (vgl. ebd: 2012, 103).
"Der Held startet nicht etwa mit breiten Schultern ins Leben, sondern als Däumling, als letztgeborener, belächelter, schwächster oder gar behinderter Sohn. Oder als ein von der Stiefmutter unterdrücktes Mädchen. Zu Helden (oder Heldinnen) werden die Figuren nicht durch angeborene Superkräfte, sondern durch innere Entwicklung. Durch Prüfungen, die sie allein nicht bestehen können, sondern für die sie Beistand brauchen - von guten Geistern, von Tieren mit magischen Kräften, von geknechteten Wesen aus der Unterwelt, von weisen Frauen. Die Helden bekommen Flügel verliehen, indem sich bei ihnen innerlich etwas tut - indem sie sich als Menschen entfalten. Dann erst erscheint der Held als Sieger (und bekommt am Ende natürlich die die Prinzessin bzw. den Prinzen). Da schimmert noch ein anderes Thema durch: Entwicklung gegen Widerstände Resillienz" (Renz-Polster, H., Hüther, G.: 2013, 144f).

Dass Märchen unsere Kinder ängstigen könnten, spricht nicht gegen sie. Es spricht eher dafür, dass es wichtig ist, dass sie von vertrauten Menschen erzählt werden. Wichtig ist auch die Art des Vorlesens - die Eltern sollten die Geschichte stimmlich formen, sie müssen ängstlich klingen, oder mutig, traurig und begeistert. Ein enger Kontakt zum Kind ist unabdingbar - guckt eure Kinder immer wieder an, haltet inne, achtet darauf, ob sie gedanklich noch bei euch sind. Gerald Hüther findet:
"Dieser enge Kontakt und die Erfahrung, dass Vater und Mutter mitfiebern, machen Märchen aus hirnbiologischer Sicht zum Besten, was wir unseren Kindern bieten können. Die Welt braucht Geschichten, und Kinder erst recht" (vgl. Hüther, G., Hauser, U.: 2012, 103f).

Lieder singen



Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich erinnere mich bei meiner Grundschulzeit besonders gern an das gemeinsame Singen mit meinen Mitschülern. Meine erste Klassenlehrerin hatte es zum Ritual gemacht, dass wir jeden Morgen zu Beginn der ersten Unterrichtsstunde als Klasse ein Lied singen und ich verbinde diese Erinnerungen mit einem besonders glücklichen, emotional befreiten Gemütszustand. Es war schön, Teil der Gemeinschaft zu sein und zu hören, wie wir miteinander harmonierten. Der schlechteste Schüler der Klasse hatte dabei die schönste und klarste Stimme - für ihn bedeutete dieser Tagesbeginn mehr als für uns anderen zusammen - er kam nur zur Schule, um diesen Moment zu erleben, denn der Rest des Tages nagte heftig an seinem Selbstbewusstsein.

Singen aktiviert emotionale Zentren im Gehirn - es werden "Glückshormone" ausgeschüttet, die uns entspannen lassen und dafür verantwortlich sind, neuronale Bahnen im Gehirn zu festigen. Gemeinsames Singen macht also schlau und glücklich. Es
"[...] führt darüber hinaus zu sozialen Resonanzphänomenen. Die Erfahrung von "sozialer Resonanz" ist eine der wichtigsten Ressourcen für die spätere Bereitschaft, gemeinsam mit anderen Menschen nach Lösungen für schwierige Probleme zu suchen. Gemeinsames Singen fördert die Fähigkeit, sich auf andere einzustimmen, und schafft so die Grundlage für den Erwerb sozialer Kompetenzen wie Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen, Selbstdisziplin und Verantwortungsgefühl. Beim Singen kommt es  zu sehr komplexen Rückkopplungen zwischen erinnerten Mustern wie Melodie, Tempo und Takt und dem zum Singen erforderlichen Aufbau sensomotorischer Muster zwischen der Wahrnehmung und der Tonbildung. Singen ist ein ideales Training für Selbstreferenz, Selbstkontrolle, Selbststeuerung und Selbstkorrektur" (vgl. Hüther, G., Hauser, U.: 2012, 105).

Zeit lassen



Achtsamkeit ist eine Tugend, die wir Erwachsenen längst abgelegt und vergessen haben. Kinder dagegen sind noch achtsam. Sie sehen vieles, über das wir Großen bereits achtlos hinweggucken und sind dabei weder voreingenommen noch abgelenkt. Sie sehen noch den Marienkäfer auf dem Blatt, wenn wir sie einfach nur schnell von A nach B bugsieren wollen, sie bleiben stehen und wollen ihn genau beobachten. Sie leben im Moment - es ist ihnen völlig egal, dass wir zu spät zu unserem Termin kommen, denn der Marienkäfer ist für diesen kurzen achtsamen Augenblick das Wichtigste auf der ganzen Welt. Für den, der mit Kinderaugen durch die Stadt zu spaziert, wird das Leben reicher und in seinem Gehirn bilden sich komplexe Vernetzungen heraus, die nur in einem solchen "Flow" in dieser Art entstehen können. Lasst euren Kindern Zeit! Oft drängen wir sie nur aus eigener Bequemlichkeit. Uns ist kalt, uns tun die Füße weh, wir würden gern zuhause einen Tee trinken oder auf Toilette gehen. Doch wenn man sich einmal vor Augen hält, wegen welcher Trivialitäten wir unseren Kindern ihre Achtsamkeit aberziehen und sie vom genussvollen Lernen abhalten, merkt man, wie egoistisch und zerstörerisch man handelt. Ist es wert, eine Stunde früher zuhause zu sein, wenn der eigene Nachwuchs diese Stunde hätte nutzen können, um Nervenbahnen zu vernetzen und vertiefen? Nichts, was wir ihnen zuhause an Bildung und Förderung bieten können, reicht auch nur ansatzweise an das heran, was sie sich auf dem Nachhauseweg  zum Lernen gesucht hätten. Das Kind sucht sich seine Aufgaben selbst - wenn wir es lassen.

Eine meiner Töchter hatte sich letztens am Morgen kurz vor Losgehen zum Kindergarten in den Kopf gesetzt, den Reißverschluss ihrer Jacke selbst zumachen zu wollen. Meine andere Tochter war bereits vollständig angezogen und hüpfte draußen auf der Treppe herum. Auch ich war schon fertig und fing an zu schwitzen. Ich gab ihr zunächst kurz die Möglichkeit, es zu probieren, doch nach ein paar gescheiterten Versuchen hatte ich den dringenden Impuls, ihr die Arbeit abzunehmen, denn dann wäre es so viel schneller gegangen. Ganz bewusst atmete ich jedoch tief ein- und aus, und ließ sie machen. Es war nicht dringend, dass wir nun in dieser Minute los kamen und meine andere Tochter war auf der Treppe ganz glücklich - es sprach also eigentlich gar nichts dagegen, der Reißverschluss-Eroberin die Zeit zu lassen, die sie brauchte. Trotzdem kostete es mich einige Kraft, nicht einzugreifen, einfach, weil ich das so viel besser konnte als sie!
 
Belohnt wurde ich nicht einmal fünf Minuten später. Sie hatte es geschafft! Und sie grinste mich glücklich und selbstbewusst zugleich an und rannte zu ihrer Schwester, um dieser zu erzählen, dass sie ihre Jacke ganz allein zugemacht hätte.

Herbert Renz Polster schreibt zum Thema "Zeit lassen":
"Wer sich jemals mit wirklich komplizierten Dingen beschäftigt hat, wird sich noch gut daran erinnern können, dass ihm das nur gelingen kann, wenn er sich dafür Zeit, möglichst viel Zeit, genommen hat. Nichts, was schwierig ist, lässt sich unter Termindruck, in Hektik und mit einer Deadline vor Augen zuwege bringen. Der Aufbau einer Freundschaft nicht, der Bau eines Musikinstruments nicht, die Gründung eines Unternehmens nicht, erst recht nicht ein für alle bereicherndes Zusammenleben in der Familie. [...] Unter Zeitdruck entsteht nichts, was außergewöhnlich, was auch noch später, nach vielen Jahren, wertvoll ist. Unter Zeitdruck bringt man nur schnell verwertbare, kurzlebige Ergebnisse und Produkte zustande [...]. In der Warenproduktion nennt man das Massenproduktion oder gar Ausschuss. Für das, was in Elternhäusern, Kindergärten und Schulen aus Kindern und Jugendlichen wird, weil wir uns nicht genügend Zeit nehmen, haben wir noch keine passende Bezeichnung. Aber wir ahnen, dass es nicht gut sein kann, wenn Kinder sich bei der Vorbereitung aufs spätere Leben beeilen sollen" (Renz-Polster, H., Hüther, G.: 2013, 90).
Es ist durchaus möglich, ein Kind so gezielt zu fördern, dass es schneller laufen oder sprechen lernt, als andere Kinder. Das bedeutet aber nicht, dass es dadurch ein "besseres" Gehirn bekommt. Komplexe Vernetzungen finden im Gehirn nur dann statt, wenn wir den Kindern einfach möglichst komplexe Erfahrungsräume zur Verfügung zu stellen, in denen es nicht auf ganz spezielles Wissen und Fertigkeiten ankommt, sondern die viele Sinne und Fähigkeiten ansprechen (vgl. ebd.:2013, 92). Wenn wir sie diese Erfahrungsräume in ihrem eigenen Tempo erobern lassen und ihnen nicht vorgeben, was sie lernen sollen. Wie sagt man so schön? Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.... Das gilt nicht nur für dreijährige Welteneroberer, sondern insbesondere auch für noch jüngere Kinder. Wir Eltern - nicht alle, aber doch viele von uns - haben irgendwie eine innere Hast, die uns hoffen lässt, unsere Babys mögen möglichst schnell selbständig werden. Sie sollen ohne Hilfe einschlafen können, deshalb "trainieren" wir sie mit Schlaflernprogrammen. Sie möglichst früh sitzen, möglichst früh Beikost essen, möglichst früh krabbeln und laufen, damit sie .... tja, warum wollen wir das eigentlich? Warum ist uns das so wichtig, dass wir unsere Kinder ständig miteinander vergleichen und uns und sie damit noch stärker unter Druck setzen? Ich kann diese Frage nicht beantworten - aber ich erinnere mich, dass ich ebenso in diesem "schneller - höher - weiter"-Wahn gefangen war, als meine Töchter noch Babys waren....
 

In der ungezähmten Natur spielen lassen



Ich habe nun schon mehrmals erwähnt, dass unsere Kinder draußen in der Natur besonders leicht lernen und Glücksgefühle erleben, die in keinem künstlich angelegten Erfahrungsraum auch nur annähernd so empfunden werden. Das liegt natürlich in unserer Evolutionsgeschichte begründet - den größten Teil der menschlichen Entwicklung haben wir draußen in der Natur verbracht und  nicht in den Höhlen und Zelten, die unsere Vorfahren sich als Behausung suchten.


So ist es ganz und gar nicht verwunderlich, dass es unsere Kinder nach draußen zieht, dorthin, wo sie sich überwinden und beweisen können. Wenn sie sich den dort vorgefundenen Gefahren in ihrem eigenen Tempo stellen, lernen unsere Kinder, ihren Körper und seine Leistung ganz genau einzuschätzen und die Gefahr, der sie sich im Spiel stellen, daran anzupassen.
 
Entwicklungspsychologin Ellen Sander hat herausgefunden, dass sich alle Kinder dieser Erde dabei immer wieder von sechs großen "Feldern" in den Bann ziehen lassen: 1. große Höhen, 2. große Geschwindigkeiten, 3. verstecken und unbekanntes Terrain erkunden, 4. Toben und Raufen, 5. Gefahrenstellen (Nähe zu Abhängen, Wasser, Feuer), 6. gefährliche Gegenstände (Stöcker, Steine, selbstgemachte Messer, Speere etc.).
"Das Spiel in diesem "Risikobereich" folgt dabei einem ganz bestimmten Drehbuch: Die Kinder haben den meisten Spaß bei jenen Aktivitäten, die gerade unterhalb ihrer Angstschwelle liegen! Dieser Belohnungsmotor drängt, nein: zwingt die Kinder förmlich immer wieder hin zu dieser Kribbelzone - und weil sie dort immer neue Kompetenzen aufbauen, wird die Angstdecke nach und nach angehoben. Die Kinder begehen bei ihren Abenteuern also immer wieder eine Gratwanderung: das Hochgefühl auf der einen Seite (Ich hab's geschafft!), die Furcht auf der anderen (Schaffe ich das?). Nur so gewinnen sie Sicherheit, nur so wachsen sie langsam über sich hinaus. Und dieses eskalierende Spielverhalten ist gleichzeitig ihr größter Schutz - sie nehmen die nächste Höhe ja nur in Angriff, wenn sie das etwas niedrigere Mäuerchen geschafft haben" (vgl. Renz- Polster, H., Hüther, G., 2013: 180ff).
Heutzutage - und ich nehme mich dabei gar nicht aus - haben Eltern aber so viel Angst um ihren Nachwuchs, dass Kinder keine Risiken mehr eingehen dürfen. Hier in meinem Kiez, mitten in Berlin, spielen selbst Fünfjährige noch auf einem eingezäunten Spielplatz, während 30 Eltern auf den Bänken ringsherum sitzen und ein wachsames Auge werfen (und nebenbei am Handy spielen). Ich selbst kann mir auch nicht wirklich vorstellen, meine fast vierjährigen Mädchen völlig "frei" zu lassen. Ich habe einfach höllisch Angst, dass ihnen etwas passiert. Dabei war ich selbst mit 5 Jahren schon allein draußen, bin in Gummistiefeln auf verdammt hohe Bäume geklettert (Der einzige Hinweis meines Vaters dazu war: "Immer drei deiner Extremitäten am Baum lassen, während eine Hand oder ein Bein weitersteigt."), habe mit Freunden im Gebüsch mithilfe von Glasscheiben und der Sonne kleine Feuer entzündet und am Tümpel nach Fischen und versunkenen Schätzen geangelt. Bis auf ewig zerschrammte Knie und blaue Flecken ist mir nie etwas passiert. Trotzdem bekomme ich jetzt als Mutter schon die Krise, wenn meine Töchter mit Stöckern in der Hand Fange spielen wollen. "Was da alles passieren kann!", schreit mein Gehirn, "einmal hingefallen, schon ist ein Auge ausgestochen!".... Seufz. Doch genau das oben beschriebene "Ausprobier-Programm" schützt unsere Kinder eigentlich vor Schäden - wenn sie die Möglichkeit bekommen, zu handeln und zu üben. Nur so haben sie Erfolgserlebnisse und erleben sich selbst als kompetente Gestalter ihrer Zukunft, nur so lernen sie ihren Körper und seine Grenzen perfekt kennen.

Allerdings gibt es eine kleine, jedoch wichtige Ausnahme: Kinder können mit natürlichen Gefahren sehr gut umgehen, doch bei manchen modernen, künstlichen Gefahren greift das evolutionsbiologische Schutzprogramm nicht: Steckdosen, Chemikalien, offene Fenster, Autos - vor dieser Art Gefahr müssen wir Eltern sehr wohl schützen!
 
Doch die Natur kann noch mehr. Nicht nur Motorik und Geschicklichkeit kann mit ihrer Hilfe "gefördert" werden, nein, auch Geduld und Beharrlichkeit werden immer wieder auf die Probe gestellt. Beim Angeln z. B. muss das Kind leise abwarten, bis ein Fisch den Köder entdeckt - es darf die Angel auch nicht zu schnell aus dem Wasser reißen, wenn die Pose wackelt, sondern sich noch ein paar Sekunden zurückhalten, um dem Fisch Gelegenheit zu geben, wirklich anzubeißen. Und trotzdem wird es nicht jedes Mal gewinnen - manchmal entwischt der Fisch trotz aller Geschicklichkeit und Hingabe.
 
In der Natur wächst nichts auf Knopfdruck. Ein Samenkorn, das gestern in die Erde gelegt wurde, ist heute noch lange nicht aufgekeimt, wie meine Töchter gerade feststellen mussten. Wir haben am Wochenende in unserem kleinen Garten ein paar Blumensamen gesät - doch bisher ist auf unserem Beet noch nichts passiert. Vielleicht haben die Vögel alles weggepickt? Vielleicht ist es nachts noch zu kalt draußen? Vielleicht dauert es aber einfach noch ein bisschen, bis die ersten Keimblätter zu sehen sind. Und auch auf die leckeren Äpfel und Kirschen werden sie noch warten müssen. Und selbst wenn die Äpfel dann hängen - sie müssen noch ein wenig hängen bleiben, denn die Süße darin braucht ihre Zeit, um sich zu entwickeln....
 
 

In einer altersheterogenen Kindergruppe spielen lassen

 

Es ist eine allgemein anerkannte Weisheit, dass Kinder andere Kinder brauchen, um glücklich zu sein. Vor allem das Alter "3 Jahre" gilt dabei irgendwie als Meilenstein. Selbst Eltern, die ihr Kind nicht in eine Kinderkrippe geben wollen, sagen, dass mit 3 Jahren aber sehr wohl der Zeitpunkt gekommen ist, an dem der Nachwuchs nun in den Kindergarten soll. Meist wird dies begründet mit den Worten "um die Sozialkompetenz zu schulen". Interessant finde ich, dass es schon in den Anfängen der Menschheitsgeschichte tatsächlich das etwa dreijährige Kind war, welches ziemlich abrupt die Sicherheit des mütterlichen Schoßes verlor und sich einer altersgemischten Kindergruppe anschließen musste, da zu diesem Zeitpunkt meist ein neues Geschwisterchen geboren wurde, welches nun die Muttermilch und (fast) ungeteilte Aufmerksamkeit der Mama bekam.
 
Tatsächlich ist so eine altersgemischte Gruppe für Kinder das Beste, was ihnen passieren kann. Da treffen lauter Individuen aufeinander, deren verschiedene Perspektiven auf die (Spiel-)Situation unter einen Hut gebracht werden müssen. Eine bessere Schulung von Empathie und Perspektivenwechsel gibt es gar nicht. Doch der Weg dahin läuft leider nicht über schönes, harmonisches Miteinander-Spielen! Das mögen nur wir harmoniebedürftigen Erwachsenen. Vielmehr müssen Kinder dazu streiten, sich vertragen, sich lieben, sich hassen - oft in fünfminütigem Wechsel. Wenn man da als Großer nicht eingreift, können Kinder lernen, ihre Impulse unter Kontrolle zu halten, Emotionen zu sortieren, Konflikte zu regeln, zu verzeihen, den anderen zu verstehen, Regeln einzuhalten oder eigene Grenzen zu setzen.


Zudem erleben sich Kinder in altersgemischten Gruppen über eine Zeit hinweg in unterschiedlichen Rollen. Die Kleinsten, die am Anfang oft betüdelt werden, bleiben nicht immer die Kleinsten, wenn neue Dreijährige hinzustoßen. Der große Bruder, der zuhause möglicherweise der Bestimmer ist, muss sich in der Kindergruppe vielleicht einem anderen beugen, der mehr zu sagen hat. Auch wenn größere Kinder aus der Gruppe ausscheiden, weil sie vielleicht schulpflichtig geworden sind, werden Rollen frei. Vielleicht gab es ein besonders mütterliches Mädchen, welches nun weg ist, und deren Position nun von einem neuen Kind aufgenommen werden kann.
" Je mehr Blickwinkel, Perspektiven und Modelle das Kind in dieser Phase kennenlernt, desto reicher wird seine Innenwelt" (vgl. Renz- Polster, H., Hüther, G., 2013: 144).
Doch die altersgemischte Gruppe hat noch weitere Vorteile: Die großen Kinder bieten den kleineren eine Art Schutzprogramm. Sie liefern im gemeinsamen Spiel nicht nur die Ideen und den sprachlichen Input, sondern auch sicherheitsrelevante Verbote.  
"So ist aus Beobachtungen bekannt, dass in gemischtaltrigen Gruppen oft Sicherheitsregeln gelten, die die Kleinen in gewisser Weise vor ihrem eigenen Ehrgeiz schützen. Ein bestimmter als gefährlich bekannter Baum oder ein schwer zu erkletternder Ast etwa gilt für die Kleinen als tabu. Umgekehrt weiß man, dass in den heute in der westlichen Sozialisation bevorzugten gleichaltrigen Spielgruppen leicht eine Art Dampfdrucktopf-Dynamik entsteht. So zeigen etwa gerade die 4- und 5- jährigen Kinder (Jungs mehr als Mädchen), wenn sie unter sich spielen, ein starkes Konkurrenzverhalten - jeder will der Größte, Beste und der Schnellste sein... Dabei spornen sich die Kinder nicht unbedingt zu einem adäquaten Risikoverhalten an, im Gegenteil: Sie treiben sich eher höher auf die Bäume..."  (vgl. Renz- Polster, H., Hüther, G., 2013: 183 ).
Das alles funktioniert natürlich eigentlich nur, wenn die Kindergruppe unter sich spielt, und nicht unbedingt unter der Aufsicht von Erwachsenen. Sobald wir da sind und aufpassen, werden Konflikte nicht mehr selbständig geregelt - mindestens ein weinendes Kind steht doch immer bei uns und ruft: "Der ... hat mich geschubst!". So gehen die letzten beiden "Förder"-Punkte, die ich hier thematisiert habe, eigentlich nur Hand in Hand: Altersheterogene Kindergruppen spielen draußen, erleben Abenteuer und bezwingen gemeinsam (angepasste) Gefahren. Ich wurde 1976 geboren, in meiner Kindheit war das noch so - wann hat sich das nur so sehr gewandelt? Und wie kommen wir dahin zurück?
 
© Snowqueen
 
 

Quellen

 
Brisch, K.-H., SAFE - Sichere Ausbildung für Eltern, 2010

Turm aus Bausteinen: Helene Souza  / pixelio.de
Vorleserin: Olga Meier-Sander  / pixelio.de
alle anderen: Pixabay.de

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