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Channel: Das gewünschteste Wunschkind
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Der Entwicklungsschub der 64. Woche (15 Monate) - Fräulein Tantrum braust auf

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Fräulein Tantrum zieht wieder ein
Um die 64. Woche (knapp 15 Monate) werden unsere Kinder wieder anänglich und rennen uns überall hinterher. Am liebsten würden sie direkt auf unserem Schoß spielen, aber wenn das nicht geht, nehmen sie ihr Spielzeug mit und spielen direkt hinter oder vor uns und sitzen uns im Prinzip permanent im Weg. Setzen wir sie weg oder bitten sie, sich ein wenig weniger gefährlich zu platzieren, initiiert Fräulein Tantrum große Wutanfälle und unsere Kinder wälzen sich verärgert kreischend auf dem Boden. Puh!
 
Kinder, die bis jetzt schon gut allein gespielt haben und sich selbständig beschäftigen konnten, verlangen nun plötzlich wieder aktives Mitspielen ihrer Eltern. Sie akzeptieren zwar grummelnd auch, wenn die Eltern nur daneben sitzen, aber wehe, diese wollen sich nebenbei mit Handy oder Buch beschäftigen! Dann werden unsere Kinder wieder wütend! Oh nein - Mama und Papa sollen bitteschön zugucken, wie Kind spielt. Erfahrene Eltern nicken nun wissend mit dem Kopf - es ist wieder soweit, Herr Ningel, Herr Nörgel und Fräulein Tantrum ziehen erneut bei uns ein....


Wie lange dauert der Sprung?



Nach van de Rijt kann der Sprung bis zu 5 Wochen dauern, wobei es zwischen der 61. und 62. Woche am schlimmsten ist (vgl. van de Rijt, 2005: 24). Ab der 65. Woche sollten langsam aber sicher wieder bessere Zeiten anbrechen. Ich selbst habe diesen Sprung bei meinen Kindern als nicht allzu problematisch erlebt, bis auf die Ausbrüche von Fräulein Tantrum, die immer sehr überraschend und vehement zutage traten.
 
 

Welchen Reifeprozess macht das Kind durch?

 
 
Es ist ein bisschen schwierig, diesen Reifeprozess zu erklären. Unsere Kinder springen nun laut van de Rijt von der Welt der "Programme" in die Welt der "Prinzipien". Ein Programm war ja eine Abfolge von Ereignissen, die zu einem Ziel führen. Wenn das Kind also gerne nach draußen auf den Spielplatz wollte, dann krabbelte oder lief es zu seinen Schuhen und startete damit das Programm "Anziehen und Losgehen". In der Welt der Prinzipien ist das Kind nun in der Lage, zunächst über das geforderte Programm nachzudenken und es gegebenenfalls zu variieren. Wir Erwachsenen zum Beispiel gucken, wenn wir das Programm "Anziehen und Losgehen" starten, zunächst einmal aus dem Fenster oder auf unsere Wetter-App, um herauszufinden, welche Art von Kleidung angemessen ist. Wir überlegen auch im Vorhinein, wie lange wir vermutlich wegbleiben werden und ob wir für später am Tag noch eine wärmende Jacke mehr brauchen. Wir denken voraus und planen - und genau das lernen unsere Kinder nun. Natürlich ist das mit 15 Monaten noch nicht so komplex, wie bei uns Großen, aber die neuronalen Verbindungen dazu werden nun angelegt (vgl. ebd., 2005: 316).

Ihr werdet vielleicht feststellen, dass eure Kinder nun scheinbar versuchen, euch gegeneinander"auszuspielen". Wenn Papa das erwünschte Eis nicht herausrückt, geht das Kind zu Mama und fragt dort noch einmal. Das ist kein "ungezogenes Verhalten", sondern das Austesten verschiedener Möglichkeiten im Sinne der Prinzipien. Nach dem nächsten Sprung Systeme mit 17 Monaten wird das Kind sich dann vorher überlegen, bei wem die bessere Chance auf ein Eis besteht und diesen Menschen zuerst fragen. Auch das Wie beim Fragen nach dem Eis will untersucht werden: Das Kind kann sich entscheiden, lieb zu gucken und so den Eisgeber mit seinem Charme einzuwickeln, mit der "Bitte, Bitte" Gebärde nachzufragen oder einen Wutanfall zu bekommen. Je nachdem, welche Strategie funktioniert, wird sie als erfolgreich oder nicht erfolgreich abgespeichert und bei den nächsten Versuchen wiederverwendet. Leider ist das im Falle des Wutanfalls nicht ganz so einfach, wie das hier klingt. Auch wenn Eltern nicht auf einen Wutanfall eingehen, um diese Strategie nicht erfolgreich werden zu lassen, wird das Kind (und seine Eltern) trotzdem noch etliche und abertausende Wutanfälle durchstehen müssen. Das liegt daran, dass im Alter von 15 Monaten wirklich die wenigsten Wutausbrüche ein vehementes Einfordern von bestimmten Dingen zur Grundlage (also das, was klassischerweise als "Trotz" bezeichnet wird) haben. Fräulein Tantrum besucht uns viel, viel öfter, weil unsere Kinder anderweitig frustriert sind: nicht richtig von den Erwachsenen verstanden zu werden, oder zu denken, die Erwachsenen machen etwas mit Absicht falsch oder auch, wenn Dinge nicht so funktionieren, wie unsere Kinder das gerne hätten.

Das beste Beispiel ist dabei immer die zerbrochene Banane - viele hunderte Kinder lagen schon weinend am Boden, weil ihnen eine Banane oder ein Keks beim Auspacken zerbrochen ist! Sie können dann erst einmal auch nicht über diese Lappalie hinwegkommen, denn sie sind noch nicht flexibel in ihren Prinzipien (vgl. ebd., 2005: 319). Sie waren darauf eingestellt eine unzerbrochene Banane zu essen. Dass sich die Voraussetzungen nun so plötzlich geändert haben und sie zwei Bananenhälften in der Hand halten, die nicht wieder zusammenzufügen sind, überfordert sie schlichtweg. Sie sind gefangen in ihrer Strategie, die für die unzerbrochene Banane galt und können nicht einfach umschalten. Als Elternteil kann man zwei Dinge in diesen Momenten tun: einfach eine neue Banane geben und darauf achten, dass diese nicht auch noch kaputt geht, oder die Trauer über die zerbrochene Banane gemeinsam mit dem Kind aushalten und verbalisieren, was das Kind gerade fühlt: "Oh, das ist so ärgerlich! Ärgerlich! Du wolltest eine ganze Banane! Aber jetzt ist sie kaputt. Du bist traurig darüber. Wirklich traurig." Nach einer (ganzen) Weile kann sich das Kind dann beruhigen und auf die neue Situation einstellen - es wird die zerbrochene Banane essen. Nicht hilfreich für das Kind ist dagegen, die Situation kleinzureden: "Ach, das ist doch nicht schlimm. Hab dich mal nicht so - du kannst die Banane doch jetzt immer noch essen." mag für uns Erwachsene logisch klingen, unseren Kindern hilft das Bagatellisieren nicht weiter. Sie fühlen sich dadurch in ihrem (realen) Schmerz über die für sie vertrackte Situation nicht ernstgenommen. Im Ausmaß vergleichbar mit dem Bananendesaster wäre für eine Frau vielleicht dieses Szenario. Stellt euch vor, ihr plant seit einem Jahr eure Traumhochzeit im August. Ihr habt viel Arbeit in die Vorbereitung gesteckt, alles sieht perfekt aus und lief nach Plan und dann fahrt ihr los zur Kirche und plötzlich verdunkelt sich der Himmel und es fängt wie aus Eimern an zu schütten. Die ganze Feier fällt ins Wasser. Natürlich werdet ihr deswegen keinen Wutanfall bekommen, da ihr schon erwachsen seid und eure Gefühle unter Kontrolle habt. Ihr werdet trotzdem feiern und es wird auch so der schönste Tag in eurem Leben, aber ihr werdet nichtsdestotrotz der Sonne nachtrauern und dem gemütlichen Beisammensein im Garten unter den Kirschbäumen, die ihr euch eigentlich erträumt habt. Ihr meint, die zerbrochene Banane ist eine ganz andere Nummer? Nicht für unsere Kinder. Die ganze Banane ist in diesem Moment der größte Wunsch unserer Kinder, ohne Wenn und Aber. Also lasst sie trauern, haltet ihren Schmerz aus und zeigt ihnen, dass ihr ihn versteht.

Die Welt der "Prinzipien" erschließen bedeutet für unsere Kinder auch, z.B. physikalische oder chemische Vorgänge genauestens zu untersuchen (vgl. ebd., 2005: 318). Schiefe Ebenen faszinieren Kinder in diesem Alter nicht umsonst: sie versuchen, vorwärts und rückwärts hoch- und herunter zu laufen, sie auf allen Vieren zu erklimmen und Bälle oder Autos runterfahren zu lassen (oder klappt auch hoch?). Auch enge Zwischenräume, kleine Kisten etc. werden gern genutzt, um den eigenen Körper experimentell auszumessen. Eine meiner Töchter, die zu diesem Zeitpunkt bereits laufen konnte (ihre Schwester noch nicht), machte sich ihren Vorteil zu nutze, indem sie Spielzeug, mit dem sie exklusiv spielen wollte, auf einem hohen Regal ablegte, an das die Schwester noch nicht heranreichte. Eine schlaue Strategie, die sie sich da ausgedacht hatte - und genau passend zur Welt der "Prinzipien"!

Wird unseren Kindern die Möglichkeit gegeben, matschen sie gern und freuen sich, wenn aus dem roten Mus und dem weißen Joghurt ein rosa Fruchtjoghurt wird. Auch mithilfe von Fingermalfarben kann man diese Experimente gut ausprobieren.

Auch moralische Prinzipien wie "höflich sein", "teilen", "kooperationsbereit sein", "respektvoll agieren" etc. kommen jetzt in den kleinen Köpfen unserer Kinder an. Manches können sie vielleicht noch nicht ausführen oder aushalten, aber das Verständnis dafür, wie man sich in unserer Gesellschaft angemessen bewegt, wächst ab diesem Alter Stück für Stück, wenn die Eltern das richtig vorleben. Diese "Prinzipien" unserer Welt haben wir uns Erwachsene schon lange erschlossen, für unsere Kinder aber sind sie noch neu und faszinierend und sollten ausgelebt werden können. Bis ein Kind das ganze Spektrum an Prinzipien erarbeitet hat, vergehen übrigens Jahre (vgl. ebd., 2005: 323).


Achtung! Erhöhte Aufmerksamkeit gefragt!



In der Welt der Prinzipien beschäftigen sich unsere Kinder mit allen Arten von sozialem Verhalten. Dazu gehört auch aggressives Verhalten. Unsere Kinder probieren aus, wie die Umwelt reagiert, wenn sie hauen, beißen, schlagen, spucken oder etwas mit Absicht kaputt machen (vgl. ebd., 2005: 340). Für uns Eltern beginnt hier eine Gratwanderung. Einerseits sollten wir dem Kind rückmelden, dass das Verhalten ist, welches gesellschaftlich nicht wohlwollend akzeptiert wird, andererseits sollten wir zu viel Bohei darum vermeiden, damit das Kind nicht lernt, es später als Provokationsmittel einzusetzen. Am besten ist es, als Elternteil ruhig zu sagen "Ich mag das nicht." und ein besonders trauriges Gesicht zu machen. Laute, entsetzte Reaktionen sind für das Kind eher spannend - es wird, um diese interessante Reaktion von Mama zu reproduzieren, wieder auf das unerwünschte Verhalten zurückgreifen. Ausführlich beschrieben haben wir das in diesem Artikel.


Beliebte Spiele



Da die Welt der Prinzipien und die Welt der Programme eng miteinander verwoben sind, sind auch die beliebtesten Spiele recht ähnlich. Immer noch Spitzenreiter sind Spielzeuge, mit denen man Programme nachspielen kann. Diese sind in diesem Artikel ausführlich beschrieben.

Ganz oben auf der Liste der beliebtesten Spielsachen ist die Rutsche! Eine eigene kleine schiefe Ebene zuhause im Wohnzimmer oder im Garten stehen zu haben ist für unsere 15-Monats-Kinder einfach wunderbar. Wir hatten die IKEA-Rutsche zuhause, aber es gibt natürlich noch viele andere gute Alternativen, wie zum Beispiel diese von Big oder diese von Little Tikes.

Meine Kinder haben die Rutsche zunächst dazu genutzt, ihren eigenen Körper auszuprobieren. Die Treppe zu erklimmen, die Rutschbahn von unten heraufzuklettern und von oben auf dem Bauch oder auf dem Po herunterzurutschen. Nach und nach wurden aber andere Experimente spannender. Die Matchboxautos durften herunterfahren, die Bälle, Murmeln, gesammelten Kastanien. Auch Puppen und Kuscheltiere wurden heruntergeschickt, genauso wie Bücher, Schuhe und der (leere) Mülleimer. Es war spannend, meine Kinder dabei zu beobachten, wie systematisch sie vorgingen und wie überraschend manche Erkenntnis für sie war, z. B. wenn manches einfach nicht rutschen wollte, weil es zu leicht war oder das Material das Rutschen verhinderte.


Auch einfache Kisten, in die die Kinder hineinsteigen können, liegen nun hoch im Kurs. Entweder man hat noch ein paar Pappkartons vom letzten Umzug im Haus, die man dem Kind zur Verfügung stellen kann, oder man kauft bei Ikea unterschiedliche große Plastikkisten. Eure Kinder werden zunächst ihre Körpermaße mit den Kisten austesten ("Passe ich hinein?"), dann aber auch anderweitig kreativ damit werden. Lasst euch überraschen!

Wie oben schon angedeutet, passen Fingermalfarben prima in diesen Sprung. Nicht nur, dass unsere Kinder das Matscherlebnis mit den Farben an den Händen schön finden (nicht alle - manche Kinder können diesen taktilen Reiz noch nicht aushalten), besonders das Vermischen der Farben fasziniert sie. Wenn man als Elternteil das Chaos aushält, kann man auch Wasser mit Lebensmittelfarbe mischen und dem Kind in durchsichtigen Gefäßen anbieten und gucken, wie es diese miteinander vermischt. Damit konnten sich meine Töchter überraschend lange und ausführlich beschäftigen! Wer es nicht ganz so aufwändig mag - es geht natürlich viel Wasser dabei daneben und muss aufgewischt werden - kann probieren, ob sein Kind in der Badewanne mit Tinti-Farbe spielen möchte (immer unter Aufsicht natürlich!).

In der Welt der Prinzipien lernen unsere Kinder nun, zu entscheiden, ob sie den elterlichen Wünschen folgen, oder nicht. Daraus kann man gut ein Spiel machen, indem man dem Kind kleine Aufträge gibt: "Steck das in den Mülleimer.", "Bring mir meine Hausschuhe.", "Sag mal Papa, dass das Essen fertig ist." Meist machen unsere Kinder das gern und voller Stolz, weil sie so zeigen können, was sie schon alles verstehen. Und wenn sie es mal nicht machen - auch nicht schlimm. Dann lernen sie gerade, ihre Prinzipien auszuloten.

© Snowqueen




Das Buch



Wer mehr über diesen und weitere Entwicklungssprünge wissen möchte, dem sei das Buch "Oje ich wachse" von Hetty von de Rijt, Frans X. Plooij und Regine Brams aus dem Goldmann-Verlag ans Herz gelegt:



Hinweis: Dieser Blog-Artikel beruht ausschließlich auf dem obigen Buch von Hetty von de Rijt, Frans X. Plooij und Regine Brams, alle von mir referierten Inhalte sind darin wiederzufinden.
 

 

Weitere Entwicklungssprünge

 
 
Die anderen Entwicklungssprünge findest Du hier:


 

Bildnachweise
 

Mutter mit Kind im Kinderwagen: Marlies Schwarzin / pixelio.de
Banane: Gabriela Neumeier / pixelio.de
Kinder an der Rutsche: Simone Hainz / pixelio.de
Kind auf Rutsche: Rolf van Melis / pixelio.de


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